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Deutsche Synchronisation

Die immer neuen schleimgeborenen Ausgeburten der "professionellen" deutschen Synchronstudios füllen ganze Festplatten. Um Speicherplatz zu sparen, beschränke ich mich daher auf einzeln herausgepickte Fälle, um zu zeigen, daß man mit nur ein klein wenig Sorgfalt gleich viel bessere Ergebnisse erzielen kann.

Pulp Fiction und die Religion

Bestimmt kennst auch Du den famosen Quentin Tarantino-Film Pulp Fiction. Wenn nicht, dann hast Du eine schlimme Bildungslücke, aber das kann man ja behandeln. Ich verzichte daher auf eine Inhaltsangabe und springe gleich an die Stelle, als der "Vierte Mann" mit einer riesigen Wumme aus dem Bad stürmt und Jules und Vincent abknallen will. Leider verfehlt er sie aus drei Metern Entfernung, worauf Vincent und Jules den armen Tropf brutal erschießen.

Szene aus Pulp Fiction

Jules ist tief beeindruckt, daß keine der riesigen Kugeln ihn getroffen hat, glaubt an ein Wunder und sagt:

Jules Winfield (Englisch): That was... divine intervention.
You know what divine intervention is?

Jules Winfield (Deutsch): Das war... göttliche Vorsehung.
Weißt du, was göttliche Vorsehung ist?

Aus dem Kontext und dem Rest des Filmes wird klar, daß Jules eine tiefe religiöse Erfahrung hatte, und divine intervention scheint als religiöser Begriff eine bestimmte Bedeutung zu haben. Divine heißt göttlich. Aber was sagen die schlauen Wörterbücher zu intervene, dem Verb von intervention, und zum deutschen Analogon Intervention?

Webster's Dictionary (Englisch):
to in·ter·vene
Function: intransitive verb
Inflected Form(s): -vened; -ven·ing
Etymology: Latin intervenire to come between, from inter- + venire to come
1: to occur, fall, or come between points of time or events
2: to enter or appear as an irrelevant or extraneous feature or circumstance
3: to come in or between by way of hindrance or modification <intervene to stop a fight>
4: to occur or lie between two things
5a: to become a third party to a legal proceeding begun by others for the protection of an alleged interest
5b: to interfere usually by force or threat of force in another nation's internal affairs especially to compel or prevent an action

Langenscheidts Wörterbuch (Deutsch):
In·ter·ven·ti'on, die; -, -en
1. Dazwischentreten,Vermittlung, Einmischung, Eingreifen in ein Geschehen oder eine Auseinandersetzung
2. Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates
3. (ökon.) gezielter Eingriff (einer oder mehrerer Zentralbanken zur Kursstützung einer Währung)

Schon ist der erste Fehler der Synchronisation entlarvt: intervention hat nichts mit "Vorsehung" zu tun, und Intervention noch weniger, weswegen eine wortwörtliche Übersetzung ausscheidet, die zudem schlechter, Fremdwörter beibehaltender Stil wäre. Man spürt zwar den Willen, den religiösen Begriff adäquat zu übertragen, aber es geht leider in die Hose. Denn eine "Vorsehung" impliziert einen vorbestimmten und passiven Lauf des Geschehens, einen bereits gemachten und unabänderlichen Plan, als hätte Gott im Anfang die Weltmaschine in Gang gesetzt und seither nie wieder angerührt. Aber eine "Intervention" ist ein direktes, willentliches und unmittelbares Eingreifen.

In der Bibel findet sich nur eine einzige Stelle, die von divine intervention spricht, und das auch noch in den sogenannten Apokryphen. Das sind Texte, die zeitlich zwischen dem Alten und dem Neuen Testament entstanden sind. Sie sind umstritten, da sie für sich selbst keine göttliche Autorität beanspruchen. Die Apokryphen enthalten außerdem eine Reihe von inhaltlichen Fehlern und werden im Gegensatz zu den Büchern des Alten Testaments nicht im Neuen Testament zitiert. Der Reformator Martin Luther befand sie für "Bücher, so der heiligen Schrift nicht gleich gehalten, und doch nützlich und gut zu lesen sind." Aber das nur der Vollständigkeit halber...

Das zweite Makkabäerbuch, Kapitel 3, Vers 29 liest sich so:

Vulgata
(Latein):

et ille quidem per divinam virtutem iacebat mutus.

King-James-Bibel
(Englisch):

For he by the hand of God was cast down, and lay speechless without all hope of life.

Revised Standard
Version (Englisch):

While he lay prostrate, speechless because of the divine intervention and deprived of any hope of recovery.

Martin Luther
(Deutsch):

daß man öffentlich die Kraft des Herrn merken mußte. Und er lag also für tot, und redete kein Wort.

Man sieht, daß Luther nah am Latein bleibt, während die englischen Versionen sich mehr Freiheiten nehmen. Aber die "Kraft des Herrn" ist zu schwach, zu schwammig-nebulös, zu wenig religiös besetzt, um bei den deutschen Zuschauern dieselben Gefühle auszulösen wie divine intervention bei den englischen.
Aber es gibt ja zum Glück noch the hand of God oder die Hand Gottes. Durch einen korpulenten Kokser 1986 unauslöschlich ins Gehirn jedes noch so analphabetischen Deutschen gebrannt, weckt dieser Begriff eine Reihe von Assoziationen und Bildern, ist religiös einschlägig belegt und klingt noch dazu gut. Also:

Jules Winfield (Englisch): That was... divine intervention.
You know what divine intervention is?

Jules Winfield (verbessertes Deutsch): Das war... die Hand Gottes.
Weißt du, was die Hand Gottes ist?

Durch eine kurze und preiswerte Recherche also hätten die Macher die Übersetzung besser, schöner und genauer gestalten und den Film damit auch im Deutschen zu einem Genuß machen können.

Aber solange das Volk weiter in miserabel übertragene Blockbuster rennt, gibt es kein Geld für ambitionierte Übersetzungen. Zu anderen Zeiten hat es wegen falsch übertragener Telegramme, Depeschen und Botschaften Kriege gegeben, und heute gibt es keinen Frieden, kein Verständnis und keine Toleranz aufgrund schlechter Synchronisationen. So bleibt sich alles gleich, und die Zyniker sind wieder einmal die Realisten. Schade, schade.

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