Kritik:
Wie schön,
wieder eine Comicverfilmung, die mir erlaubt, in der
Einleitung kräftig gegen die fehlende Comickultur der
Deutschen vom Leder zu ziehen: X-Men war vor
allem deshalb in den USA so ein großer Erfolg, weil
die Comicserie seit dreißig Jahren populäre
Bekanntheitsarbeit geleistet hat. Hierzulande dagegen wissen
die meisten nicht einmal, daß es so etwas wie "X-Men"
oder "Spawn" überhaupt gibt! Und wenn ein Deutscher
doch mal einen Comic kennt und liest, dann "nur Asterix" -
und selbst der wird nur verschämt unter der Bettdecke
gelesen. Es ist zum Heulen.
Denn
X-Men hat es durchaus verdient, von einem breiteren
Publikum wahrgenommen zu werden. Wenn man akzeptiert,
daß es Menschen mit übermenschlichen Kräften
aller Art gibt, wenn man daran glaubt, daß sie durch
Wände gehen, Gegenstände bewegen oder das Wetter
kontrollieren können, dann lacht man auch nicht, wenn
die Charaktere allen Ernstes Namen wie "Cyclops",
"Toad" oder "Magneto" benutzen oder Uniformen mit großen X-en
tragen - im durchaus um ernste Themen wie Toleranz,
Außenseitertum und Diskriminierung kreisenden Comic
ist es ja nicht anders.
Bryan Singer weiß darum und bemüht sich um eine
akkurate Adaption der Vorlage, streift hier Magnetos
KZ-Vergangenheit (etwas deplaziert ist das in einem
Major-Comic-Film schon, und Magnetos Angst vor Repressalien
gegen Mutanten in direkter kausaler Verknüpfung auf
seine Nazi-Erfahrungen zurückzuführen, ist schon
ziemlich plump-psychologisch), führt da Professor
Xaviers "Mutant High" auf sympathische Weise in schönen
Sets vor und zeigt dort gekonnt, aber knapp die Folgen
der intoleranten Reaktion der "normalen" Menschen auf
die Mutanten (die unter ihrer Diskriminierung leiden). Dabei
versumpft die Musik leider im 08/15-Action-Mittelmaß,
eine richtige, direkte Konfrontation zwischen den beiden
Anführern gibt es nicht, und die Schauspielleistungen,
auch die der offensichtlich unterforderten Briten Stewart
und McKellen als "old friends", erreichen nur
durchschnittliche Höhen - keiner der Akteure ist
wirklich schlecht (Hugh Jackman als
rebellisch-aufmüpfiger Wolverine ist sogar ganz gut),
aber leider ist auch keiner wirklich berauschend (die oscarprämierte Anna
Paquin als großäugig heulende Rogue fällt
etwas ab). Vielleicht liegt das ja an den wenig originellen
Dialogen, die nur selten zünden.
Zünden
tun dafür die explosiven und spannenden Kämpfe,
die ein bißchen zwanghaft auch ja jede Fähigkeit
der guten und der bösen Mutanten vorführen - von
Cyclops' Brennstrahl über Dr. Jean Grays Telekinese bis zu
Toads (Ray - einmal wird das parodiert - "Darth Maul" Park) "wicked tongue" wird
keine Spezialität ausgelassen, wobei Magneto seinen
bescheuerten Spastiker-Helm zum Glück nur einmal
aufsetzt. Die Effekte könnten dabei manchmal noch etwas
besser sein - einigen Einstellungen merkt man allzu deutlich
die Herkunft aus dem Computer an, und die Cerebro-Szenen ("This certainly is a big round room")
wirken fast schon wie eine seltsame Nahtoderfahrung. Was Bryan Singer an Effekten gespart hat, hat
er dafür - man höre und staune, eine Seltenheit in
modernen Actionfilmen - für etwas Charakterentwicklung
und lustige Konfrontationen ausgegeben, die den einzelnen
Figuren mehr Tiefe geben - und ausnahmsweise sind die Frauen
hier mal keine Sexhäschen, sondern gleichberechtigte
Mitstreiter.
So bewegt
sich X-Men in ungewohnt gemächlichem und
ernsthaftem Tempo durch einen stimmigen Plot mit
nachvollziehbaren Wendungen bis zum Showdown, der allerdings
recht zahm ausfällt, da das Tor für die
Fortsetzungen (auf Betreiben der Marketingleute?)
sperrangelweit offengelassen werden mußte. Einige
läppische Hinweise und unbeantwortete Fragen tun ihr
Übriges, und zurück bleibt ein etwas schaler
Nachgeschmack eines gewollt offenen Endes mit der Androhung
einer Fortsetzung. Denn da X-Men seine Charaktere und
Schauplätze ernstnimmt, sich bemüht, seine Figuren
in einer anspruchsvollen Umsetzung zu erforschen und zu
ergründen und sie nicht der Lächerlichkeit
preisgibt, kann man Bryan Singers Film durchaus zu den
wenigen gelungenen Comic-Verfilmungen zählen und mit
Filmen wie Batman vergleichen - und jeder weiß
ja, was aus der Batman-Reihe geworden ist, nachdem
Tim Burton den Regiestuhl verlassen hat (hehehe).
  1/2 von 5 Sternen.
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