Kritik:
Laut offiziellen
"Glaube keinen nicht selbst gefälschten"-Statistiken
geht der durchschnittliche Deutsche nicht öfter als
zwei- oder dreimal pro Jahr ins Kino. Es ist mir zwar ein
Rätsel, wie kleinere und unbekanntere Filme so
überhaupt je einen Besucher anlocken können, aber
als praktische Folge dieser Zahlen vermeide ich den
Kinobesuch zu stark frequentierten Zeiten, da dann die
Gefahr am größten ist, auf besonders entartete
Exemplare der Gattung "seltener Kinogänger" zu
treffen.
Leider, und nach dieser Einleitung muß natürlich
ein "leider" kommen, leider habe ich diesen Grundsatz, einer
Einladung von Freunden folgend, beim Besuch von Wonder
Boys ausnahmsweise über Bord geworfen. Und prompt
war das Kino voll von Menschen, die offenbar noch nie in
ihrem Leben eine Komödie gesehen hatten (ich frage mich
manchmal, wie ein Mensch vom Anfang oder aus der Mitte des
20. Jahrhunderts auf einen modernen Kinofilm reagieren
würde; das Verhalten der "seltenen Kinogänger" ist
zumindest eine Annäherung...), so sehr lachten sie
selbst bei Stellen, die höchstens für ein
Schmunzeln gut waren. Auch die seit Monaten gezeigten
Werbespots waren manchen Lachenden noch unbekannt - zum
Glück blieb der Vorhang in der kurzen Pause nach der
Werbung offen, so daß niemand den unvermeidlichen
"Jetzt ist der Film zu Ende, wir können nach Hause
gehen"-Witz anbringen konnte...
Immerhin
war die Stimmung im Saal dank der ständig lachenden
Kinolaien (die mit Abstinenzlern verglichen werden
können, die auf einer Feier ein Glas zuviel getrunken
haben) von Anfang an gelöst, was den Genuß von
Curtis Hansons Werk noch gesteigert hat. Michael Douglas
spielt mit Lust und Wärme einen schluffigen, unrasiert
im Bademantel seiner Frau umherlaufenden, ständig Hasch
rauchenden Professor, der so verschieden von seinen
üblichen Maniac- und Yuppierollen ist, daß man
schon zweimal hinsehen muß, um ihn zu erkennen. Der
weichgesichtige Tobey Maguire ist gewohnt brillant als
Tripps sensibel-genialer Musterschüler, Frances
McDormand (bekannt aus Fargo) bezaubert als
geschäftig-warmherzige Kanzlerin, Rip Torn (gesehen
unter anderem in Men in Black) ist der herrlich
überhebliche Fließbandautor "Q", die hier etwas zu selten eingesetzte Katie Holmes
zeigt auf sympathisch-attraktive Weise, daß sie mehr
kann, als belanglose Highschoolbeziehungen totzureden, und
Robert Downey Jr., der ausgerechnet wegen Drogen und
Prügeleien für einige Zeit auf Mike Tyson-Art eine
Zwangspause eingelegt hatte, meldet sich aufs
Köstlichste als bisexueller Verleger mit einem Faible
für Transvestiten zurück. All das wird gefilmt vom
Italiener Dante Spinotti, der schon in The Insider
und Nell ein Händchen für schöne
Bilder bewies. Hier inszeniert er das eigentlich von grauen
Schwerindustriefabriken geprägte Pittsburgh als
versöhnlich-heimeliges Wintermärchen, in dem sich
sogar die Flutlichter der Industriestätten romantisch
im Wasser spiegeln. Michael Douglas bringt mit Hilfe des
liebevoll-verträumt und hintergründig-humorvoll geschriebenen Selbstfindungsskripts zum
Ausdruck, was auch der Zuschauer angesichts der kuscheligen
Ausstattung immerzu sagen möchte: "A house you'd like
to wake up in on Christmas morning."
In dieser
wohligen Szenerie lernen sich Tripp und sein Schüler
näher kennen, wobei sie noch einen versehentlich
erschossenen Hund beseitigen müssen, was zu einem halbwegs lustigen running gag führt. Da sind
andere Scherze besser gelungen: der für einen US-Film
erstaunlich freizügige Umgang mit Drogen wird zwar bis
zum Happy-End abgestellt, sorgt aber vorher mit der
ständig brennenden Tüte in Douglas' Mund oder dem
"under the influence"-Gespräch mit Katie Holmes
für einige Lacher. Auch sonst schert sich Wonder
Boys wenig um gängige Kinokonventionen, was in den
USA natürlich zu einem kommerziellen Flop führte:
Tobey Maguire erschießt nicht nur einen Hund (!),
sondern schläft auch noch mit einem Mann, ohne
daß sich jemand aufregt. Zwischendurch versucht Tripp,
der von ihm schwangeren Kanzlerin zu sagen, daß er sie
liebt, und muß nach einigen netten Szenen und vergnüglichen
Mißgeschicken mit ansehen, wie sein über
2000-seitiger, unfertiger Roman im Fluß versinkt, was
ihn endlich zur Räson und wieder zurück in
bürgerliche Bahnen bringt. Daß der Film am Ende
etwas plump konventionelle Familienwerte predigt, sei
angesichts der tollen Besetzung, der berückenden
Inszenierung, der wie beiläufigen Tabubrüche, der
schillernden Charaktere und des poetisch leichten Drehbuches ausnahmsweise verziehen - Marilyn wurde nie schöner zelebriert.
   von
5 Sternen.
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