Kritik:
Die Crux aller
Kritik ist, daß sie im Gegensatz zur Malerei, Musik,
Literatur oder Filmkunst nichts erschafft, sondern ihrem
Wesen nach destruktiv ist und ohne originale, zu
kritisierende Werke nicht überleben kann, einem
hungrigen Egel nicht unähnlich. Und genau wie diese
verbringen viele Kritiker ein verachtetes Dasein im Dunkel
der Zuschauerräume, den spitzen Stift immer zum Stechen
bereit. Der unbarmherzige Biß in den Hals des
Künstlers fällt freilich alles andere als leicht,
wenn sein Werk aufgrund gehobener Qualität nur wenige
Angriffspunkte bietet, und so müssen Rezensionen
gelungener Werke immer ungleich schaler und langweiliger
ausfallen als genüßlich sezierende Verrisse
miserabler Machwerke.
So auch bei
Wo hu cang long, der im englischen Sprachraum als
"Crouching Tiger, Hidden Dragon" bekannt ist, hierzulande
aber mit einer aus unbekannten Gründen verkürzten
Version des englischen Titels bedacht wurde: was soll man zu
einem in jeder Hinsicht makellosen Film anderes schreiben
als eine uneingeschränkte Empfehlung? Angefangen von
der märchenhaften Ausstattung, die das mittelalterliche
China farbenreich und opulent in Kostümen, Fahrzeugen
und Gebäuden wieder zum Leben erweckt, über die
kristallklar-wunderbare Kamera Peter Paus, die die einmalige
Schönheit der unterschiedlichen Landschaften des Reichs
der Mitte in eindrucksvoll satten Farben auf die Leinwand
bringt, bis zum souveränen Spiel aller Darsteller gibt
es nichts, was an diesem Werk des hochtalentierten Ang Lee
zu bemängeln wäre. Cellosolos des begnadeten Yo-Yo
Ma untermalen Bilder, die lange im Gedächtnis des
Zuschauers verbleiben: das bunte Treiben in der Metropole
Beijing, die majestätisch-kühle Ruhe eines
Bambuswaldes, die surreal flirrende Unwirklichkeit der
Wüste oder die nebelverschleierte Mystik der Berge.
Die Schauspieler stehen dem in nichts nach: sowohl die nur
scheinbar zarte, hierzulande vor allem aus Tomorrow Never
Dies bekannte Michelle Yeoh als auch der unvergleichlich
coole Yun-Fat Chow zeigen auf behutsam-leise Weise ihre
darstellerische Extraklasse, die die tragisch verhinderte
Liebesgeschichte ihrer Charaktere ergreifend nahegehen
läßt. Übertroffen werden beide aber von der
sympathisch energiegeladenen Ziyi Zhang, die als
aufmüpfig-talentierte Jen die beste Rolle des Films
noch zusätzlich schillern lässt - ihre
verstohlenen Blicke, als sie Li Mu Bais (Chow) Schwert
zum ersten Mal erblickt, und ihr erheiterndes Spiel mit dem
hervorragend wild-romantischen Chen Chang als Lo bleiben
ebenso in Erinnerung wie ihre furiosen Kämpfe mit
nahezu allen Protagonisten.
Diese
Kämpfe, von Woo-Ping Yuen (hierzulande vor allem durch
seine Arbeit für The Matrix bekannt;
ironischerweise preist der Verleih Wo hu cang long
auf seltsam kulturimperialistische Weise mit einem Hinweis
auf den Wachowski-Film an, ganz so, als wäre The
Matrix das Vorbild für asiatische
Martial-Arts-Streifen gewesen und nicht umgekehrt)
choreographiert, sind in ihrer
tänzerisch-klingenscharfen Präzision und rasanten
Eleganz so atemberaubend anzusehen (und entbehren doch nicht
wohlgesetzter humorvoller Momente), daß man auch hier
nur den Verantwortlichen gratulieren kann.
Viel Aufruhr und kicherndes Unverständnis gab es in
unserem Kulturkreis angesichts der Tatsache, daß die
Protagonisten wie selbstverständlich über
Hausdächer und auf Bambusstauden fliegen können,
wobei manch ein scharfsichtiger westlicher Beobachter
akkurat die wegretuschierten Drähte zählte. Ohne
tiefergehende Kenntnisse der östlichen Metaphernwelt
fällt eine Beurteilung dieser Szenen natürlich
genauso schwer wie die Übersetzung altägyptischer
Inschriften; in unbeschwerter Naivität kann man aber beide schön finden, auch
wenn immer die Gefahr besteht, einem Kannitverstan
aufzusitzen.
Und der
Plot? Neben der verhinderten Liebe zwischen Li Mu Bai und
Shu Lien (Yeoh) und dem (etwas klischeehaften) Wunsch, Lis
ermordeten Meister zu rächen, enthält der niemals
überladen wirkende Wo hu cang long die
spannend-actionreiche coming-of-age-Story der jungen Jen,
die nicht nur ihre große, wilde Liebe trifft, sondern
sich auch von ihrer Lehrmeisterin (Pei-Pei Cheng als
böse "Gouvernante") auf fatale Weise emanzipiert.
Daß das Ende bei soviel Gefühlen kein
fröhliches sein kann, ist irgendwann auch klar, und mit
einem poetisch-elegischen Finale verabschiedet uns Ang Lees
Meisterwerk zurück in die "wirkliche" Welt, im Kopf die
schönsten und klarsten Bilder seit vielen
Kinoäonen.
1/2 von 5 Sternen.
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