Kritik:
Die traurigerweise
auch Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch
nicht einmal ansatzweise bewältigte Vergangenheit
durchdringt Deutschland bis heute, giftig-ansteckenden
Tentakeln gleich. Von Martin Walsers unsäglicher
Paulskirchenrede über die Verschleppung der Zahlung
lächerlicher Summen an ehemalige Zwangsarbeiter bis zur
Unfähigkeit, Grabmäler und Synagogen
jüdischer Mitbürger angemessen schützen zu
lassen (daß es auch bei angemessenem staatlichen und
privaten Schutz mehr als bedrückend ist, in einem
demokratischen Land Kirchenstätten bewachen lassen zu
müssen, um zu verhindern, daß Brandsätze flackernd durch die Nacht fliegen, machte mir
mein Besuch in einer gleichzeitig als Museum fungierenden Synagoge klar, bei dem ich durch einen
Metalldetektor laufen mußte und von bulligen
Sicherheitsleuten argwöhnisch beäugt wurde) - ein
unverkrampft-offener Umgang mit der Thematik fernab aller
eskapistischen "Schlußstrich"-Rufe ist noch weit
entfernt.
Das zeigt
auch der Umgang der zuständigen Behörden mit
Oi! Warning, dem Debütfilm der
Reding-Brüder. Während selbst platteste sogenannte
Komödien noch Förderungsgelder und
Qualitätsprädikate in Massen zugeschanzt bekommen,
mußte Oi! Warning erst im Ausland Preise zuhauf
gewinnen, um hierzulande überhaupt einen Verleih zu
finden. Warum es die ganzen Querelen überhaupt gab, ist
aber überraschenderweise nach dem Ende des Films weit
weniger klar als vor dem Kinobesuch. Denn entgegen aller
Presseberichte ist Oi! Warning in Wahrheit gar kein
politisches Drama mit provokanten Aussagen zur Stimmung in
der Gesellschaft, sondern nur ein etwas
überambitionierter Debütfilm um jugendliche
Orientierungslosigkeit und Gruppenrituale.
Der junge,
von Sascha Backhaus manchmal etwas hölzern, aber
ansonsten recht ordentlich gespielte Janosch
verläßt seine Familie und entwendet seiner
ziemlich gekünstelt schwäbelnden Mutter ihre Kreditkarte. In prätentiösen,
schwarzweiß-detaillierten Bildern aus
pseudo-originellen Perspektiven, die oft allzusehr den "Wir
haben endlich eine richtige Kamera"-Geist atmen, fährt
er mit seinem Mofa, der meist gut ausgesuchten Musik
lauschend (das "Koma, Koma"-Lied!), zu seinem Freund Koma, der als Brauereiarbeiter
sein Geld verdient und in der Freizeit im Kickboxring steht.
Dieser Koma, von Simon "The Hammer" Goerts meist gut, aber ab und zu etwas zu
aufdringlich-eindimensional gegeben, erfreut sich
außerdem der Mitgliedschaft in der lokalen Skin-Szene,
in die er den beeinflußbaren Janosch einführt.
Die Skins tanzen entweder den (schön gezeigten) Pogo
auf einschlägigen Konzerten oder besaufen sich mit
Unmengen von Bier, haben aber politisch höchstens die Provokation der "normalen" Bürger im Sinn.
Nebenbei bekommt Komas Freundin Sandra (Sandra Borgmann mit
der besten Leistung des Filmes als Hausfrau mit
aufgesetzt-einstudierten Grimassen - die "Blanca, begleite
doch Janosch zum Steg"-Einstellung ist hier das
Paradebeispiel) noch Zwillinge, und Janosch verliebt sich im
Geschichtsunterricht des sadistisch-exekutionsfetischistischen Lehrers
(Charles Müller als Ronny Cox-Verschnitt mit brutal
zuckendem Mundwinkel) in die korpulente Blanca (Britta Dirks
mit einer vorhersehbar-langweiligen Darstellung).
Kritiker
warfen Dominik und Benjamin Reding stilistische Nähe
zur meisterhaften Nazi-Propagandafilmerin Leni Riefenstahl
vor, offenbar aufgrund der gelungenen Darstellung der
homoerotischen Komponente des Skin-Daseins in seltenen
Aufnahmen muskulöser Männerkörper im
schwarzweißen Gegenlicht. Dieser Vorwurf greift
natürlich zu kurz und belegt nur die phantasielose
Unkenntnis der besagten Unken - über die 1:1-Kopie
einer Riefenstahl-Szene am Ende von Star Wars: Episode I - The
Phantom Menace hat sich seltsamerweise niemand
aufgeregt, vielleicht weil sie in Farbe gefilmt und mit
lustigen Außerirdischen gefüllt war. Über
dieses Mißverständnis hinaus liefern Janoschs
Abenteuer mit seinen Skin-Freunden keinen politischen
Zündstoff, sondern handeln vom rauhen Umgangston in der Glatzkopfgruppe oder versuchen, das
eintönige Leben der Menschen in Janoschs Umgebung auf
durchsichtige Weise zu porträtieren (Blancas beim
Fernsehen einschlafende Eltern mit dem Vater im
Feinripp-Unterhemd, Sonnenbaden am Baggersee, zünftige
Zimmermänner...). Ein paar
überflüssig-lächerlich-plakative Stereotypen
(der reiche Streber, der sich bei jeder Frage des Lehrers
ehrgeizig meldet, "Punks stinken und leben alle in
Bauwagenkolonien, aber sind eigentlich ganz friedlich und
intelligent", ein Türke gewinnt einen Boxkampf gegen
Koma...) verwässern das etwas ziellose Skript
zusätzlich. Einzig Janoschs Beziehung mit dem
feuerspuckenden Punk Zottel (Jens Veith als pausbäckig
fabulierender Stachelkopf), die in einer Tragödie endet, bringt
frischen Wind und eine neue Perspektive in die Geschichte
und wirft recht melodramatisch Fragen persönlicher
Verantwortung und Selbstachtung auf.
Als leicht forcierte Einführung in die kaum bekannte Szene der nicht rassistischen Bier- und Pogoskinheads geht das unpolitische Debütwerk der Redings also durchaus an. Es fragt sich nur, inwieweit dem Durchschnittszuschauer solche Nuancen begreiflich sind - jener statistischen Person also, die ein Kino nicht von einer Telefonzelle unterscheiden kann.
von 5 Sternen.
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