Kritik:
Zuwenig Schlaf
kann, einem milden Rauschmittel gleich, dem überreizten
Gehirn so manchen Streich spielen, so manch banales
Geschehnis zum großen Erlebnis aufbauschen. So erging
es mir, als ich mich, bereits im übermüdeten
Zustand, zur örtlichen Oscarnacht aufmachte, bei der
eine "exklusive" Preview von Steven Soderberghs
Traffic gegeben wurde. In der zweiten Reihe von vorne
sitzend (ich war viel zu spät aufgekreuzt), schien mir
jede Szene von unübertrefflich intensiver
atmosphärischer Dichte, jedes Bild wie flirrende Hitze
oder wie fröstelnde Kühle und jeder Schauspieler
wie ein kleiner Laurence Olivier. Wie groß darum meine
Überraschung, als sich auch im
nüchtern-ausgeschlafenen Kinobesuchszustand einige
Wochen später nicht viel an meinem ersten Eindruck
änderte.
Denn mit
Traffic ist Soderbergh, hört, hört,
tatsächlich ein bemerkenswert packendes Drogendrama
gelungen, das die Thematik facettenreich abbildet und
beleuchtet, ohne je in allfällige Klischees, stupide
Vorverurteilungen oder schreckliche Vereinfachungen zu
verfallen. Mit einer blendend aufgelegten Starriege,
fähigen Filmkünstlern und einem bis auf ein paar
überzogene Figuren und Szenen sehr gelungenen und realistischen Drehbuch
schafft es Soderbergh, zweieinhalb Stunden wie neunzig
Minuten erscheinen zu lassen, für die andere Regisseure
drei oder mehr Stunden gebraucht hätten, um nur die
Hälfte zu erzählen.
Alles fängt in Mexiko an, das hier in ausgebleichten
Tönen gefilmt wird, die die Hitze fast körperlich
spürbar machen. Auch die trägen Worte der Akteure
tragen zum Gefühl drückender Schwüle bei,
ganz so, als fiele selbst das Bewegen der Zunge in der
Mittagshitze unsagbar schwer. Die Polizisten "Manolito"
Sanchez und Javier Rodriguez y Rodriguez - und Benicio del
Toro als schlau-kontrollierter, aber innerlich
aufgewühlter Cop mit hypnotisch-rauchigem Blick ist die
ideale Verkörperung seiner Rolle - kommen
Drogenkurieren auf die Spur, werden aber vom brutalen, arg an
südamerikanische Militärputschisten erinnernden
General Salazar (neben seinem Namen könnten auch seine
goldumrandete Sonnenbrille, seine vielen Schultersterne,
sein gestutztes Bärtchen und sein kurzes Stöckchen
direkt alten Tim-und-Struppi-Bänden entsprungen sein)
abgezockt und gezwungen, für ihn zu arbeiten. Unter
anderem müssen sie in zwei köstlichen Szenen einen
Killer in einer Schwulenbar anheuern sowie Salma Hayek, die
sich hier als munter plappernde Mätresse ("Ay ay ay
ay!") selbst karikierende Göttliche, zu ihrem
Liebhaber, einem totgeglaubten Drogenboss,
bringen. Als die beiden schließlich selbst versuchen, am Drogengeschäft mitzuverdienen, müssen sie in einer bemerkenswerten, an Goyas "Erschießung der Aufständischen" erinnernden Szene dem Tod ins Auge sehen.
Etwa zur
selben Zeit fällt Catherine Zeta-Jones, hier aus
Schwangerschaftsgründen rund wie ihr Heimatland, aus
allen Wolken, als ihr Mann unter dem Verdacht verhaftet
wird, ein Drogenschieber zu sein. Unter dem Eindruck der
Bedrohung ihrer Kinder durch Gläubiger ihres Mannes
entschließt sie sich, die Geschäfte zeitweilig zu
übernehmen, inklusive Ermordung lästiger Zeugen
und Kurierfahrten über die mexikanisch-US-amerikanische
Grenze mit raffiniert getarntem Kokain. Diese Wandlung vom behüteten Luxusweib zur
eiskalten Taktikerin ("Shoot him now!") geht zwar etwas
holprig-abrupt vonstatten, wird von Zeta-Jones aber recht
anschaulich, wenngleich nicht allzu überragend
dargestellt.
Die
Bewacher des Zeugen, den Zeta-Jones gerne tot sehen
würde (ein herrlich grantelig-zynischer Miguel Ferrer),
sind Don Cheadle und Luis Guzmán als
eingespielt-humorvolles Polizistenpaar, das, ohne es zu wollen, durch seine mitunter lebensgefährliche Arbeit immer genau den Drogenbaronen
hilft, die sie gerade nicht verhaftet haben, so vertrackt
ist die Situation.
Das muß auch Robert Hudson Wakefield, der designierte
"Drogenzar" des Präsidenten, erkennen, als er im
emotionalsten (und blaugefärbtesten, Soderbergh ist
nicht nur ein guter Regisseur, sondern auch ein
ungewöhnlicher Kameramann) Teil des Films bemerkt,
daß seine eigene Tochter, eine Einserschülerin,
crackabhängig ist und einer
Wir-sprechen-mal-drüber-Therapie entflieht. Verzweifelt
sucht er, meist angenehm subtil von Michael Douglas dargestellt,
in den Armenvierteln von Cincinnati nach seiner Caroline und
erhält so einen Einblick in das heuchlerische
Lügengebäude der (weißen) Oberschicht, die
nach außen die (dunkelhäutigen) Drogendealer
verdammt, aber heimlich doch bei ihnen Bestellungen aufgibt.
Als er schließlich sein neues Amt mit einer
kämpferisch-vereinfachenden Rede antreten soll, versagt
ihm denn auch die Stimme, und er besinnt sich auf sein
wertvollstes Gut: seine Familie.
So, durch diese geschickt miteinander verknüpften, sehr unterschiedlichen Einzelschicksale, wird die
einmal stimmige Tagline des Films langsam klar: No one
gets away clean, auch der äußerlich Sauberste
steckt durch die Umstände mehr oder minder tief mit drin
und ist gezwungen, sich illusionslos mit dem Thema auseinanderzusetzen. Was dabei herauskommt, wenn so unterschiedliche Menschen wie Javier Rodriguez, Helena Ayala oder Robert Wakefield sich mit den Drogen auseinandersetzen, die in ihr Leben dringen, zeigt Traffic ganz ohne scheinbar beruhigende "Patentlösungen" auf charmant beobachtend-nüchterne Weise, und trotz der
etwas fransig-unausgegorenen Fast-Happy-Enden
entläßt Soderbergh den Zuschauer schließlich in seine eigenen
Gedanken zur komplexen Problematik. Wie erfrischend
in einer Filmindustrie, in der sonst am Ende immer alles
unbedingt gut werden muß, Asteroiden und
Außerirdischen zum Trotz.
von
5 Sternen.
|