Kritik:
Deutschland ist
ein seltsames Land. In Frankreich, USA, Japan und
überall sonst auf der Welt lesen Kinder und Erwachsene
gleichermaßen mit Begeisterung und in aller
Öffentlichkeit ihre Asterixe, Supermänner und Neon Genesis Evangelions, und hier wird man aus unerklärlichen
Gründen schon schief angeschaut, wenn man
überhaupt diese "Schundliteratur" ansieht, geschweige
denn konsumiert - "Du Kind", "Werd' erwachsen" und
"Breihirn'" sind nur die mildesten Beschimpfungen. Als
logische Folge werden Zeichentrickfilme, die filmische
Umsetzung von Comics, hierzulande nur als "Kinderkram"
betrachtet und erreichen daher nur ein oftmals ungeeignetes,
zu junges Publikum - ein kommerzieller Flop ist die Folge,
der eine Negativspirale in Gang setzt, die dazu führt,
daß am Ende nicht mal mehr die erfolgreichsten und
besten Animationsfilme in Deutschland erscheinen - wie schon
mehrfach geschehen.
Also mußte auch ich mich mit Pokémon-Shirt und
Piepsstimme am hellichten Tag - "Kinderfilme" laufen nur
früh am Abend - in Titan A.E. schleichen, um
nicht als Erwachsener erkannt und der Diffamierung durch den
Pöbel ausgesetzt zu werden. Wieder war der Saal voller
Popcorn mampfender Eltern, die ihre krakeelenden Kinder zu
einem scheinbar harmlosen - ist ja Zeichentrick -
Animationsvergnügen geschleppt hatten. Und wieder
werden sich Kinder in den Schlaf geweint haben, da Titan
A.E. ja doch Gewalt und Blut zeigt. Es ist eben nicht
alles Disney, was gezeichnet ist; aber ehe ein deutsches
Elter das lernt, bin ich schon zweimal
ausgewandert.
Trotz aller
Widrigkeiten aber ist Titan A.E. ein
erinnerungswürdiges Stück Film: so eine gelungene,
detailreiche, mehrdimensionale und realistische Verbindung
von herkömmlich gezeichneten zweidimensionalen Figuren
und dreidimensional computergenerierten Schauplätzen,
Hintergründen und Objekten läßt einem den
Atem stocken: von den ganz gerenderten Bösewichten
über die Weltraummantas bis zu den driftenden
Eiskristallen ist fast jede Szene ein atemberaubend
spektakulärer Schaukasten immer neuer Details,
Reflexionen und Kamerafahrten, die nie langweilig werden. Ob
Wasserstoffbaum, Drifterkolonie oder
Genesis-Effekt: Don Bluths Künstler haben ganze
Arbeit geleistet, die sich in leuchtenden Farben auf der
großen Leinwand zum etwas zu rockigen Sound
unvergeßlich schillernd entfaltet - moderner
Computeranimationstechnik sei Dank.
Gäbe
es nur die CGI-Bilder, würde Titan A.E. als
wegweisender Pionier einer neuen Animationsart in die
Filmgeschichte eingehen. Aber leider gibt es ja noch die
2D-Figuren, die zwar flüssig umherlaufen, aber mit ganz
und gar verunglückten Grimassen versuchen, Emotionen
auszudrücken: wenn die Lippenbewegungen und der
Gesichtsausdruck nicht synchron mit dem von Matt Damon, Drew
Barrymore, Bill Pullman und allen anderen engagiert
gesprochenen Text gehen, dann hat jemand entweder nicht
aufgepaßt oder kein Talent. Das ist bei Disney besser
gelöst, wo die Gesichter der Figuren wirklich
Gefühle darstellen und nicht nur unverständlich
quasi-epileptisch zucken.
Auch beim Plot hat Don Bluth ganze Arbeit geleistet: so eine
pedantische, meist bierernste Verwendung auch wirklich jedes
Filmklischees in der geradlinig-platt-einfallslosen Story
ist mir noch nie untergekommen - der Vater, der seinen
"Neeein" schreienden Sohn wegbringen läßt,
brennbare Fässer als Waffe, "Du bist unsere einzige
Chance, Junge", motivlos böse Bösewichte in
Einheitsfarbe, im wahrsten Sinn des Wortes
zweidimensionale Charaktere in "Wir müssen
X finden, bevor Y es findet"-Szenen, die konturlose
Geliebte des Helden als Sexhäschen, schwer
erträglicher "Für die Menschheit"-Pathos und
gierige Verräter, humorvolle Sidekicks und
waffennärrische Thugs machen Titan A.E. in jeder
Sekunde zu einem vorhersehbaren Fast-Langweiler, der
manchmal auch noch so aussieht, als wäre er direkt als
Videospiel konzipiert worden - so genau werden die
Abschüsse und zerstörten Kanonen gemeldet.
Wenigstens sind die Schießereien und
Weltraumschlachten dafür originell.
Also: eine
abgedroschene und unlogische (der Gefängnisausbruch!) Story mit einigen für
Kindern ungeeigneten Ballereien, Blut- und Opferszenen,
eingebettet in einmalig schöne, tadellose, mühe-
und liebevoll erstellte 2D/3D-Animationen, das führt in
Anerkennung des Zeichentrick-Innovationsfaktors gerade noch
so zu
  von
5 Sternen.
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