Kritik:
Als ich Strange
Days seinerzeit (1995) sah, schien das Millennium noch
ewig weit weg; wohl deshalb konnten sich nur wenige
Zuschauer mit der Geschichte anfreunden. Die Studios haben
nun aber einmal etwas Vernünftiges getan und den Film
rechtzeitig zum magischen Datum neu in die Kinos gebracht.
Grund genug, ihn endlich zu besprechen.
Strange
Days ist ein Film allein fürs Kino, und deswegen
kann ich jedem nur empfehlen, ihn unbedingt dort anzusehen.
Auf jedem noch so großen Fernsehschirm büßt
er seine Wirkung fast vollständig ein - die Massenszenen
werden zu Kammerspielen, die pulsierende Musik krächzt
nur noch aus den Lautsprechern, und jedes bißchen
apokalyptische Atmosphäre verpufft in den Ritzen des
Fernsehsessels zwischen einem zerkrümelten
Kartoffelchip und anderen Dingen, die ich mir nicht einmal
vorstellen will. Allein die Anfangsszene (die die Richtung
vorgibt), in der die Kamera und mithin der Zuschauer selbst
wirklich einen Überfall verüben (mit
Todesfolge), kann ihre magische Anziehungskraft nur in - und
hier seien sie einmal gelobt - möglichst großen
Multiplex-Sälen mit Dolby Digital und THX entfalten.
Man fühlt sich in den expressiven Clip-Szenen wirklich
im Film, ist ein wahrhafter Teil des Geschehens und
um so erschütterter von der Gewalt, die man
erfährt (und selbst ausübt) - ein 3-D-Trip ohne
Brille, eine innere Selbsterfahrung mit den Augen, kurz: ein
einmaliges Erlebnis. Die brutal-kompromißlosen
Gewaltorgien könnten empfindsamen Gemütern
zusammen mit der realistischen Präsentation allerdings durchaus schlecht bekommen.
Aber auch
wenn er nicht gerade in einem Clip schwelgt, ist der Film
ein visuelles Meisterstück und zeigt detailgenau und
stylish ein von Kriminalität verseuchtes,
urban-neonleuchtendes, vor dem Jahreswechsel gespannt den
Atem anhaltendes Los Angeles. Die ganz hervorragend
ausgewählte, eindringlich wummernde Musik - unter
anderem von Skunk Anansie - (wenn in Deinem CD-Regal zwischen
zwei E-Rotic-Platten noch Platz ist, dann kauf Dir den Soundtrack) und
die suggestive Kamera tragen dazu bei, daß man glaubt,
den Asphalt zu spüren und die pulvergeschwängerte
Stadtluft zu riechen. Kathryn Bigelows eigenartig
kraftvoll-energische Art, visuell expressive und
außergewöhnliche Actionfilme zu drehen, geht hier
mit James Camerons Sci-Fi-Story in eine atemberaubende
Synthese über und macht Bigelow so zu einem meiner
Lieblingsregisseure.
Auch die
Schauspieler wie Ralph "Dackelblick" Fiennes, Angela
Bassett und Juliette Lewis sind sehr gut, aber die beste
Performance ihrer jeweiligen Karrieren ist Strange
Days leider nicht - dafür sind die Charaktere etwas
zu ungenau gezeichnet, und einige Aspekte der Story sind
auch nicht gerade neu (alte Krimihüte,
Rodney-King-Parallelen...); vor dem opulenten Hintergrund
heben die Akteure sich irgendwie nicht so sehr ab und
wirken mitunter in der Bilderflut etwas verloren. Dennoch
gibt es bemerkenswerte Szenen wie Juliette Lewis' PJ Harvey-Gesang oder das Millennium-Finale.
Insgesamt
also erhält Strange Days als Thriller "nur" ein
"gut", stellt dafür aber einen
außergewöhnlichen, herausragenden, seiner Zeit
weit voraus gewesenen Actionfilm dar, einen der besten,
ausgefeiltesten und intelligentesten seiner Zunft, der einen
gleich Hunderte Armageddon vergessen läßt.
You know you want it!
   von
5 Sternen.
|