Kritik:
Manche Filme
atmen, auch wenn sie vorgeblich zeitlose Klassiker sind, in
Wahrheit doch sehr den Geist ihrer Zeit. In Soylent
Green, 1973 erschienen, spiegeln sich nur allzu klar die
Nachwirkungen der Ölkrise, die die Vergänglichkeit
fossiler Energieträger drastisch klarmachte. Auch der 1972
erschienene Bericht "Die Grenzen des Wachstums" des Club of
Rome (eine lose Vereinigung von um die Zukunft besorgten
Wissenschaftlern), der auf empirische Weise das baldige Ende
der Rohstoffreserven und die fortschreitende
Umweltzerstörung prophezeite (da die Voraussagen leider
nur auf simplen Extrapolationen des damaligen Ist-Zustandes
beruhten, ohne den technischen Fortschritt einzubeziehen,
ist es auch heute noch nicht zu einer weltweiten
Energiekrise gekommen), klingt in Sols bitterer Klage über die
zerstörte Umwelt und den Treibhauseffekt an.
Mit solchen
zeitgeistlichen Voraussetzungen ist es kein Wunder,
daß Soylent Green ein Ökothriller reinster
Güte ist. Richard Fleischers (der Name paßt wie
die Faust aufs Auge) Film fängt mit einer Clipshow der
vermeintlich zivilisierten Gesellschaft an, die unentwegt im
Stau steckt und riesige Müllberge produziert. Auf
geht's in ein New York des Jahres 2022, das offensichtlich aufgrund fehlenden Budgets nur aus schummrigen Hinterhöfen
und überfüllten Plätzen besteht, auf denen
die Millionen arbeitslosen Einwohner der hoffnungslos
übervölkerten Stadt nach Nahrung suchen.
Futuristische Erfindungen und Schauplätze sucht man
vergebens - einzig die Lavalampen-Einrichtung der Wohnungen,
die Star Trek-artigen Kleider der Menschen und
natürlich die allmächtige Nahrungsmittelfirma
Soylent vermitteln so etwas wie ein Bild von der Zukunft,
was die komischen Footballhelme der Polizisten und die zum
Auflösen von Demonstrationen benutzten Schaufellaster
in ihrer lächerlichen Einfachheit und Lieblosigkeit
nicht schaffen.
Mittendrin:
Charlton Heston, heute ein bigotter NRA-Propagandist, damals
noch ein Sci-Fi-Star. Als Recht suchender Cop lebt er mit
seinem lebenden Archiv, einem großartigen Edward G.
Robinson in seiner letzten Rolle, in einer kleinen WG. Er
untersucht den Mord an William Simonson, einem reichen
Soylent-Manager, und wie Heston prima spielend das
fließende Wasser, die Seife, den Bourbon und die
Köstlichkeiten (279 Dollar für etwas Gemüse
und Eier) in Simonsons Apartment bewundert und
schließlich mitgehen läßt, das gibt dann
doch einen tieferen Einblick in diese Zukunft, in der man
für Strom strampeln und für Wasser anstehen
muß. Auch das Festessen (Rindfleisch und Gemüse,
zum Nachtisch ein Apfel) des an Besteck nicht gewohnten
Heston und dem vor Rührung weinenden Robinson, von den
beiden wunderbar harmonisch und glaubhaft gespielt, macht,
oft nur mit kleinen Nebenbemerkungen ("I have never eaten
like this") klar, wie sehr die Menschen der Zukunft der
Natur entfremdet sind.
Natürlich verliebt sich unser Held auch, und zwar in
die "Ausstattung" von Simonsons Wohnung, eine junge
Prostituierte, überzeugend von der attraktiven Leigh
Taylor-Young dargestellt. In der Zukunft gehört zu
jedem teureren Apartment eine eigene Prostituierte, die alle
ehelichen Pflichten übernimmt und dafür die
Annehmlichkeiten der Wohnung genießt -
herkömmliche Partnerwahl scheint abgeschafft zu sein.
Für Hollywood völlig unüblicherweise
rebelliert der Held nicht einmal gegen diese Ordnung,
sondern nimmt sich wie selbstverständlich seinen Teil
und blockt am Ende sogar einen Ausbruchsversuch seiner Shirl
ab, was nochmal auf bezaubernd subtile Weise deutlich macht,
wie sehr Hestons Charakter ein Teil jener Zukunft
ist.
Schließlich
kommt Heston, nachdem er einen Mordanschlag und den
üblichen, korrupten
"Ich-suspendiere-Sie"-Polizeipräsidenten aus dem Feld
geschlagen hat, auf die Spur der üblen Machenschaften
des Soylent-Konzerns. Kamera-, musik-, action- und
schnitttechnisch ist das Ganze zwar nicht berauschend, aber
durchaus erträglich. Die surreale Sterbeszene des Sol
Roth, der in einem Archiv voller alter Menschen hinter das
Geheimnis von Soylent Green gekommen ist und, der Welt
überdrüssig, eine Sterbehilfeanstalt aufgesucht
hat, ist sogar sehr gelungen und zeigt auf wunderschöne
Weise, was die Menschen der Zukunft für immer verloren
haben. Wieder übertreffen sich Robinson und Heston
gegenseitig und spielen erschütternd gut und bewegend. Danach sucht Heston die Entsorgungsanstalt auf und
erfährt endlich (das dürfte mittlerweile wohl
allgemein bekannt sein), daß Soylent Green doch nicht
aus dem in Wahrheit ausgestorbenen Plankton hergestellt
wird. In der Schlußeinstellung versucht Heston, die
Menschen zu warnen, den blutenden Arm wie in einem Griff
nach göttlicher Hilfe nach oben gestreckt. Aber da ist
nichts.
Fazit also:
ein zeitgeistig angehauchter, auf den ersten Blick billig
produzierter Ökokrimi, der aber auf den zweiten Blick
durch seine guten Schauspieler und seine
hintergründigen Hinweise eine vielschichtige, dunkle
Zukunftswelt zum Leben erweckt. Ein zeitloser Klassiker
eben.
   von
5 Sternen.
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