Kritik:
Normalerweise tun
Hollywood-Regisseure alles, um das tödliche NC-17-Rating zu
vermeiden. Im amerikanischen Altersfreigabesystem, das im
Gegensatz zu den deutschen FSK-Freigaben strengstens
kontrolliert wird, ist dies die restriktivste Wertung
für kommerzielle Kinofilme. Da Filme mit NC-17 zudem gemäß dem
Gedankengang "Uh, NC-17! Der muß ja schlimm sein -
gehen wir lieber in Deep Impact!" sehr abschreckend
wirken, ist ein finanzieller Flop vorprogrammiert. Daher
verstümmeln auch die sonst rebellischsten Filmemacher
ihre Werke bereitwillig bis zur Unkenntlichkeit, wenn sie
dafür nur ein R-Rating erhalten. Nicht so Paul
Verhoeven. Daß er die Zensoren zur Weißglut trieb, hat er wohl
erwartet. Aber daß dann auch noch sowohl das
spärliche Publikum als auch die vielen Kritiker
Showgirls in der Luft zerrissen haben, hat Verhoevens
Film nicht verdient.
Denn trotz
der überwältigend schlechten Presse ist
Showgirls nicht einmal halb so mies wie erwartet.
Nicht einmal die Nacktszenen - ständig
entblößte Brüste, einige full frontal
nudity-Aufnahmen und mehrere wenig bis sehr erotische
Striptänze - sind das erwartete Sodom und Gomorrha,
aber das war bei den immer noch puritanischen Amerikanern ja
nicht anders zu erwarten.
Bei nüchterner Betrachtung erweist sich Verhoevens Werk
als durchaus liebevoll gestaltet: die Kamera des genialen
Jost Vacano fängt den Zauber der Glitzer- und
Neonmetropole Las Vegas umwerfend ein, die Musik ist
ansprechend, und die Schauspieler sind zwar nicht besonders
brillant, aber trotz der lauen Synchronisation beileibe nicht schlecht. Vor allem Gina
Gershon als verschlagener Star der Show ist mit ihren
vulgär verzogenen Lippen, ihrem spöttischen
Grinsen und ihrer atemberaubenden Figur immer schön
anzusehen. Auch Elizabeth Berkley, die die Rolle bekam, die
eine Menge berühmterer Kolleginnen aus Klugheit oder
Glück ausgeschlagen hatten, ist nicht die
befürchtete schauspielerische Katastrophe. Sie agiert zwar kraftvoll-aggressiv, aber dafür seltsam oberflächlich und ungenau. Es ist
fraglich, ob Verhoeven nicht genau so eine Darstellung
gewünscht hat, um sie, wie später im wunderbaren
Starship Troopers, als satirisches Mittel
einzusetzen. In den (Lesben-)Szenen mit Gershon (der Hundefutter-Dialog!) wächst Berkley
jedenfalls über sich selbst hinaus, und
äußerst aufregende Kurven und ein gewisses
Tanztalent hat sie auch.
Beides
braucht sie auch, um in den überwältigend
choreographierten, wundervoll getimten, schön fotografierten und nie langweiligen Stripshows zu bestehen,
die erotisch knisternd von Table- und Lapdances bis zu
großen Hotelrevuen das ganze Spektrum des erotischen Tanzes realistisch und sexy wiedergeben. Allein wegen dieser
Szenen lohnt es sich, Showgirls anzusehen. Ansonsten
kann man sich noch an den durchweg schlechten und bösen
Menschen in diesem Film erfreuen, die solange die arme Nomi
auf die eine oder andere Art übers Ohr hauen, bis sie
selbst beginnt, gemeine Intrigen abzuziehen. Hier gibt es
keinen männlichen Macho-Helden, der die moralisch alles andere als einwandfreie
Hauptdarstellerin aus dem Sumpf zieht - sie schafft es am
Ende selbst und verliebt sich zwischendurch sogar noch in
einen Schwarzen, was für die Amerikaner vielleicht ein
weiterer Grund war, Showgirls (nach einem manchmal
etwas platt-nachlässig-unglaubwürdigen Drehbuch des
obsessiven Joe Eszterhas, manche nannten es sogar "Eszterhas' Masturbationsphantasie") zu hassen. So offenbart Paul
Verhoevens auf den ersten Blick oberflächlicher und
aussagenloser Film über das Stripgeschäft und
seine verdorbenen Macher auf den zweiten Blick ein
verblüffend zynisches Bild eines verkommenen Vegas, in
dem man seine moralischen Prinzipien über Bord werfen
muß, um nach oben zu kommen. Daß sowas in Zeiten
plüschiger Meg-Ryan-Phantasien keiner sehen will, ist
dem Provokateur Verhoeven natürlich immer klar gewesen
- umso höher ist seine Entscheidung zu bewerten, den Dreh trotz des voraussehbaren Flops allein der Botschaft
wegen durchzuziehen.
  1/2
von 5 Sternen.
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