Kritik:
Langsam fährt
der Finger über die Landkarte, wo ein Film spielt, ist
immer interessant zu erfahren, bis er, einen Fingerbreit von
Kattowitz, zwei von Krakau entfernt, hält, dort, wo,
wie in Nanking, Hiroshima oder Tschernobyl, Ort und
Geschehen so sehr, so tief verwoben sind, daß das eine
ohne das andere nie mehr genannt werden kann:
Auschwitz.
Und so
kommt auch Steven Spielbergs Schindler's List, in
hochqualitativem Schwarzweiß gedreht, nicht an jenem
polnischen Ort vorbei, und dort, wo der still und weiß
fallende Schnee sich mit dem schwarz aufsteigenden Rauch der
Lebendkrematorien vermischt, treten die Schwächen und die
Stärken dieses Films besonders hervor, ganz so, als
hätte auch eine bloße Kulisse, nannte man sie nur
Birkenau, die Macht, Licht und Dunkel messerscharf zu
scheiden. Dazu später mehr.
Der Industrielle und Lebemann Oskar Schindler, ein
Kriegsgewinnler, wie er im Buche steht, reist im Gefolge der
deutschen Truppen nach Krakau, wo er sich mit üppigen
Gelagen und Feiern bei den Besatzern einschmeichelt. Mit
Geldern jüdischer Investoren eröffnet er eine
Emaillewarenfabrik, die er mit Arbeitern aus dem
örtlichen Ghetto betreibt. John Williams'
unaufdringliche Musik (von Itzhak Perlman wunderbar umgesetzt) und Janusz Kaminskis
genial-atmosphärische Kamera begleiten den Frauenheld
Schindler (ein massiger, aber gefühlvoller Liam Neeson)
und seinen tüchtigen jüdischen Buchhalter Itzhak
Stern (ein durchweg minimalistisch-eindrücklicher Ben
Kingsley) bei ihren geschäftlichen Eskapaden (und die
Sekretärinnen-Bewerberinnen-Szene läßt
Schindler's List hier fast wie eine US-Komödie
wirken), während zugleich die zunehmende Entrechtung
der Juden Krakaus und ihr Leben im Ghetto gezeigt
werden.
Bald reist
der verfettete, pervers-brutale SS-Untersturmführer Amon
Göth an (Ralph Fiennes in einer seiner besten Rollen
zwischen Sadismus und unterdrückt-eruptiven
Gefühlen) und läßt das Ghetto räumen,
um es in das neu errichtete Konzentrationslager Płaszow
zu verlegen. Der Zuschauer lernt hierbei nicht nur die
vielen, in der Synchronisation mit einem etwas aufgesetzten
jiddischen Akzent sprechenden Akteure näher kennen,
sondern erhält auch einen erstaunlich
erschütternden Einblick in die Fähigkeit des
Menschen, sein eigener Wolf zu sein, seinesgleichen zu
Mozarts Klängen zu töten und jedem Glauben an
Gnade und Mitleid Hohn zu sprechen. Exemplarisch, aber etwas
zu plakativ wird das am Tod des kleinen Mädchens im
roten Mantel klar, das Schindler bei der Räumung des
Ghettos aus den Augen verliert und erst vor den Toren
Krakaus auf dem Scheiterhaufen wiedersieht.
Viel eher als das kleine Mädchen aber, und hier
stoßen wir an einen der (wenigen) Schwachpunkte von
Schindler's List, daß seine großen
Momente fast schon superlativische movie moments sind
nämlich, bleiben die vielen kleinen Szenen in
Erinnerung, die dem Film seine Tiefe geben: der an der
Unterseite seines Bettes wie Odysseus versteckte Mann, die
völlige Abhängigkeit von der guten oder schlechten
Laune der deutschen "Herren" oder die Reduzierung des Lebens
auf ein Stück Papier.
Schindler,
seiner Arbeiter beraubt und von der Brutalität der
Deutschen den Juden gegenüber zunehmend betroffen,
sucht nach Wegen, seine Fabrik fortzuführen, und findet
sie in der Bestechung Göths und seiner Schergen, die in
der Villa oberhalb des Lagers Feste feiern, während die
Insassen zutiefst demütigende Selektionen und
willkürliche Exekutionen in immer kürzeren
Intervallen über sich ergehen lassen müssen. Im
Gespräch mit Stern erfährt Schindler nicht nur von
den Zuständen in Płaszow, sondern widerlegt
zugleich auch moderne Schlußstrich-Anhänger, die
behaupten, "man" hätte nichts wissen können,
nichts wissen dürfen und "sowieso" nichts tun
können. Wieder sind es die scheinbar
nebensächlichen Dialoge ("Müssen wir eine neue
Sprache erfinden?") und Bilder (die an Ladehemmung
scheiternde Exekution! Das Versteck in der Latrine!), die
viel mehr als die schauspielerisch und dramaturgisch
ausgeschlachteten Stellen (Die "Begnadigungs"-Szene!) aufwühlen und unvergessen
bleiben.
Schließlich,
das Lager wird aufgelöst und nach Auschwitz verbracht,
muß Schindler, knapp einem Verfahren wegen angeblicher
"Rassenschande" entkommen, seine Listen schreiben, um
wenigstens einige wenige Häftlinge in seiner neuen Munitionsfabrik in
Brünnlitz in Sicherheit zu bringen. Dennoch wird der
Zug mit den Frauen nach Auschwitz fehlgeleitet, und als die Lokomotive im dichten Schneetreiben das berüchtigte Tor passiert,
scheint alles verloren. Aber Steven Spielberg wäre
nicht Steven Spielberg und Hollywood nicht Hollywood, wenn
sich im aussichtslosesten, dramatischsten Moment nicht doch
noch alles zum Guten wenden würde. Und als so im
Waschraum nur H2O statt HCN aus den Duschen strömt, ist
klar, daß es nur gut ausgehen kann, gut ausgehen
muß. So scheinen auch die übermenschlichen
Schwierigkeiten, die Schindler mit unglaublichem Mut und
Glück überwindet, um seine Frauen aus dem
Todeslager freizukaufen, nur mehr wie überflüssige
Plotstreusel, obwohl das Scheitern an jeder einzelnen
Hürde den Tod bedeutet hätte, und auch die
unfaßbar glückliche Fügung des Schicksals,
daß Schindler es im letzten Moment schafft, die
mitgebrachten Kinder vor der Gaskammer zu retten, wirkt so
nur wie ein weiterer Schritt auf der breiten Straße
zur Freiheit, die doch immer nur ein haardünnes Hochseil im
Sturm war.
Schindler's List erzählt hier von der
Hoffnung inmitten der Hoffnungslosigkeit, von der Rettung
inmitten der Rettungslosigkeit, und so tröstlich die
Vorstellung ist, daß auch im allgegenwärtigen
Morden noch Leben möglich ist, so deplaziert, fast
falsch scheint sie hier, wo der Tod zum Meister aus
Deutschland wurde, in Birkenau. Kristallen deutlich
wird das an der kurzen Szene, als die Schindler-Frauen zum
Zug geführt werden, der sie nach Brünnlitz bringt,
und dabei an einer langen Reihe Todgeweihter vorbeigehen,
die vor der Gaskammer Schlange stehen, als besuchten sie
eine Ausstellung. Statt sich selbst zu den toten Lebenden zu
stellen und dorthin mitzugehen, wo der Beton an der Decke
Kratzspuren menschlicher Finger trägt, folgt die Kamera
den Frauen in den Zug, zurück ins Leben, nach
Brünnlitz, und vergessen sind die, die gestorben sind,
in Auschwitz II. Im Leben sind, anders als in Filmen, Happy-Ends nie ganz und
gar glücklich, nie einfach zu erklären, und der mangelhaften Beachtung dieser
Tatsache fällt Schindler's List in diesen Szenen zum Opfer.
So wirkt
auch Schindlers allzu überzeichnete und zu sehr
zelebrierte Schlußansprache nicht wie ein
kathartisches Finale, sondern nur wie der
überflüssig-langweilige Endmonolog des Helden, und die in die
Freiheit gehenden Schindler-Juden sehen nicht wie knapp der Ermordung entronnene Folteropfer, sondern wie in den Sonnenuntergang reitende
Westernhaudegen aus. Und so ändert auch die letzte
Einblendung mit der Zahl nichts an der schlußendlich positiv-herzwarmen Einstellung des Zuschauers, der vermeint,
ein weiteres, nur bisweilen tragisches Heldenstück mit
vorprogrammiertem Happy-End gesehen zu haben. Das aber
wäre nicht nur ungerecht dem bis auf die besprochenen
Schwächen sehr gelungenen Schindler's List und
seinen wirklich gelebt habenden Protagonisten
gegenüber, sondern auch den Menschen hinter der
Zahl.
   von
5 Sternen.
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