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Schindler's List

-- Diesmal kein sarkastischer Kommentar --

Szene aus Schindler's List

Info über Schindler's List (USA 1993)

Regie: Steven Spielberg

Darsteller: Liam Neeson, Ben Kingsley, Ralph Fiennes, Caroline Goodall, Jonathan Sagall, Friedrich von Thun

Inhalt: Der Fabrikant Oskar Schindler rettet über 1200 Juden vor der Vernichtung.

Kritik: Langsam fährt der Finger über die Landkarte, wo ein Film spielt, ist immer interessant zu erfahren, bis er, einen Fingerbreit von Kattowitz, zwei von Krakau entfernt, hält, dort, wo, wie in Nanking, Hiroshima oder Tschernobyl, Ort und Geschehen so sehr, so tief verwoben sind, daß das eine ohne das andere nie mehr genannt werden kann: Auschwitz.

Und so kommt auch Steven Spielbergs Schindler's List, in hochqualitativem Schwarzweiß gedreht, nicht an jenem polnischen Ort vorbei, und dort, wo der still und weiß fallende Schnee sich mit dem schwarz aufsteigenden Rauch der Lebendkrematorien vermischt, treten die Schwächen und die Stärken dieses Films besonders hervor, ganz so, als hätte auch eine bloße Kulisse, nannte man sie nur Birkenau, die Macht, Licht und Dunkel messerscharf zu scheiden. Dazu später mehr.
Der Industrielle und Lebemann Oskar Schindler, ein Kriegsgewinnler, wie er im Buche steht, reist im Gefolge der deutschen Truppen nach Krakau, wo er sich mit üppigen Gelagen und Feiern bei den Besatzern einschmeichelt. Mit Geldern jüdischer Investoren eröffnet er eine Emaillewarenfabrik, die er mit Arbeitern aus dem örtlichen Ghetto betreibt. John Williams' unaufdringliche Musik (von Itzhak Perlman wunderbar umgesetzt) und Janusz Kaminskis genial-atmosphärische Kamera begleiten den Frauenheld Schindler (ein massiger, aber gefühlvoller Liam Neeson) und seinen tüchtigen jüdischen Buchhalter Itzhak Stern (ein durchweg minimalistisch-eindrücklicher Ben Kingsley) bei ihren geschäftlichen Eskapaden (und die Sekretärinnen-Bewerberinnen-Szene läßt Schindler's List hier fast wie eine US-Komödie wirken), während zugleich die zunehmende Entrechtung der Juden Krakaus und ihr Leben im Ghetto gezeigt werden.

Bald reist der verfettete, pervers-brutale SS-Untersturmführer Amon Göth an (Ralph Fiennes in einer seiner besten Rollen zwischen Sadismus und unterdrückt-eruptiven Gefühlen) und läßt das Ghetto räumen, um es in das neu errichtete Konzentrationslager Płaszow zu verlegen. Der Zuschauer lernt hierbei nicht nur die vielen, in der Synchronisation mit einem etwas aufgesetzten jiddischen Akzent sprechenden Akteure näher kennen, sondern erhält auch einen erstaunlich erschütternden Einblick in die Fähigkeit des Menschen, sein eigener Wolf zu sein, seinesgleichen zu Mozarts Klängen zu töten und jedem Glauben an Gnade und Mitleid Hohn zu sprechen. Exemplarisch, aber etwas zu plakativ wird das am Tod des kleinen Mädchens im roten Mantel klar, das Schindler bei der Räumung des Ghettos aus den Augen verliert und erst vor den Toren Krakaus auf dem Scheiterhaufen wiedersieht.
Viel eher als das kleine Mädchen aber, und hier stoßen wir an einen der (wenigen) Schwachpunkte von Schindler's List, daß seine großen Momente fast schon superlativische movie moments sind nämlich, bleiben die vielen kleinen Szenen in Erinnerung, die dem Film seine Tiefe geben: der an der Unterseite seines Bettes wie Odysseus versteckte Mann, die völlige Abhängigkeit von der guten oder schlechten Laune der deutschen "Herren" oder die Reduzierung des Lebens auf ein Stück Papier.

Schindler, seiner Arbeiter beraubt und von der Brutalität der Deutschen den Juden gegenüber zunehmend betroffen, sucht nach Wegen, seine Fabrik fortzuführen, und findet sie in der Bestechung Göths und seiner Schergen, die in der Villa oberhalb des Lagers Feste feiern, während die Insassen zutiefst demütigende Selektionen und willkürliche Exekutionen in immer kürzeren Intervallen über sich ergehen lassen müssen. Im Gespräch mit Stern erfährt Schindler nicht nur von den Zuständen in Płaszow, sondern widerlegt zugleich auch moderne Schlußstrich-Anhänger, die behaupten, "man" hätte nichts wissen können, nichts wissen dürfen und "sowieso" nichts tun können. Wieder sind es die scheinbar nebensächlichen Dialoge ("Müssen wir eine neue Sprache erfinden?") und Bilder (die an Ladehemmung scheiternde Exekution! Das Versteck in der Latrine!), die viel mehr als die schauspielerisch und dramaturgisch ausgeschlachteten Stellen (Die "Begnadigungs"-Szene!) aufwühlen und unvergessen bleiben.

Schließlich, das Lager wird aufgelöst und nach Auschwitz verbracht, muß Schindler, knapp einem Verfahren wegen angeblicher "Rassenschande" entkommen, seine Listen schreiben, um wenigstens einige wenige Häftlinge in seiner neuen Munitionsfabrik in Brünnlitz in Sicherheit zu bringen. Dennoch wird der Zug mit den Frauen nach Auschwitz fehlgeleitet, und als die Lokomotive im dichten Schneetreiben das berüchtigte Tor passiert, scheint alles verloren. Aber Steven Spielberg wäre nicht Steven Spielberg und Hollywood nicht Hollywood, wenn sich im aussichtslosesten, dramatischsten Moment nicht doch noch alles zum Guten wenden würde. Und als so im Waschraum nur H2O statt HCN aus den Duschen strömt, ist klar, daß es nur gut ausgehen kann, gut ausgehen muß. So scheinen auch die übermenschlichen Schwierigkeiten, die Schindler mit unglaublichem Mut und Glück überwindet, um seine Frauen aus dem Todeslager freizukaufen, nur mehr wie überflüssige Plotstreusel, obwohl das Scheitern an jeder einzelnen Hürde den Tod bedeutet hätte, und auch die unfaßbar glückliche Fügung des Schicksals, daß Schindler es im letzten Moment schafft, die mitgebrachten Kinder vor der Gaskammer zu retten, wirkt so nur wie ein weiterer Schritt auf der breiten Straße zur Freiheit, die doch immer nur ein haardünnes Hochseil im Sturm war.

Schindler's List erzählt hier von der Hoffnung inmitten der Hoffnungslosigkeit, von der Rettung inmitten der Rettungslosigkeit, und so tröstlich die Vorstellung ist, daß auch im allgegenwärtigen Morden noch Leben möglich ist, so deplaziert, fast falsch scheint sie hier, wo der Tod zum Meister aus Deutschland wurde, in Birkenau. Kristallen deutlich wird das an der kurzen Szene, als die Schindler-Frauen zum Zug geführt werden, der sie nach Brünnlitz bringt, und dabei an einer langen Reihe Todgeweihter vorbeigehen, die vor der Gaskammer Schlange stehen, als besuchten sie eine Ausstellung. Statt sich selbst zu den toten Lebenden zu stellen und dorthin mitzugehen, wo der Beton an der Decke Kratzspuren menschlicher Finger trägt, folgt die Kamera den Frauen in den Zug, zurück ins Leben, nach Brünnlitz, und vergessen sind die, die gestorben sind, in Auschwitz II. Im Leben sind, anders als in Filmen, Happy-Ends nie ganz und gar glücklich, nie einfach zu erklären, und der mangelhaften Beachtung dieser Tatsache fällt Schindler's List in diesen Szenen zum Opfer.

So wirkt auch Schindlers allzu überzeichnete und zu sehr zelebrierte Schlußansprache nicht wie ein kathartisches Finale, sondern nur wie der überflüssig-langweilige Endmonolog des Helden, und die in die Freiheit gehenden Schindler-Juden sehen nicht wie knapp der Ermordung entronnene Folteropfer, sondern wie in den Sonnenuntergang reitende Westernhaudegen aus. Und so ändert auch die letzte Einblendung mit der Zahl nichts an der schlußendlich positiv-herzwarmen Einstellung des Zuschauers, der vermeint, ein weiteres, nur bisweilen tragisches Heldenstück mit vorprogrammiertem Happy-End gesehen zu haben. Das aber wäre nicht nur ungerecht dem bis auf die besprochenen Schwächen sehr gelungenen Schindler's List und seinen wirklich gelebt habenden Protagonisten gegenüber, sondern auch den Menschen hinter der Zahl.

****von 5 Sternen.

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