Kritik:
Vergleiche,
Metaphern gar, sind der Maggi-Würfel in der
kloßigen Suppe eines jeden Textes. Ein Meister, wer
sie zur Vollendung gebracht hat und stilsicher anwenden
kann, ohne dem Spott anheim zu fallen wie jener
glücklose Autor, dessen Vergleich einer Frau mit einem
Toaster ihm einen der Goldenen Himbeere nicht
unähnlichen Literaturpreis bescherte. So sitze auch ich
verzweifelt vor meiner Tastatur und versuche, mir clevere
und witzige Metaphern für Les rivières
pourpres aus meinem Geist zu saugen wie die letzten
Klumpen Milchpulver aus einem Vanillemilchshake, in dessen
Strohhalm ein Witzbold Dutzende kleiner Löcher
gestochen hat. Wäre Mathieu Kassovitz' Film ein Wein,
gliche er dann einem edel-aromatischen Tropfen von der
Garonne oder einem äußerlich glänzenden,
innen aber von Frostschutzmitteln durchsetzten Sud aus einem
obskuren Château in der Bretagne? Käme er im
Fernsehen, so als "FilmFilm", als "BielefeldPremiere", als
"TV-Drama der Woche" oder im Nachtprogramm, verschämt
zwischen zwei 0190-Stöhn-Spots gezwängt? Und
müßte man sich mit Les rivières
pourpres den, pardon, Hintern abwischen, wäre der
Film dann hauchzart-wohlriechend wie ein vierlagiges, mit
Vitamin B getränktes Streichelblatt oder eher wie das
Sandpapierkonzentrat, mit dem alle Behörden und
Staatsgebäude dieser Welt von einem geheimen
Folterlabor aus beliefert werden? All das und noch viel
mehr, zum Beispiel, warum man nur dann zitieren sollte, wenn
man weiß, was man zitiert, im Folgenden.
Alles
fängt, und ein bißchen wirkt schon das wie ein
Zitat aus Alien: Resurrection, für den der
weiterhin sträflich unterschätzte Darius Khondji
die Kamera führte, mit einer stimmungsvoll insektigen
Kamerafahrt über verrenkte Glieder und
fürchterliche Narben an, für die Thierry Arbogast,
im Hauptberuf das einzig Gute an vielen von Luc Bessons
Filmen, verantwortlich zeichnet: ein obskur-symbolbeladener
Mord natürlich, und sowohl die Entdeckerin der Leiche,
die Glaziologin Fanny (eine apart-französische,
wenngleich schauspielerisch mit einer Topfpflanze
vergleichbare Seifenopern-Schönheit namens Nadia
Farès) als auch der örtliche, intellektuell
etwas schwachbrüstige ("Bill Gat-es")
Polizeikapitän (ein energisch-glaubwürdiger Karim
Belkhadra) wissen sich keinen Reim auf die Sache zu machen.
Zum Glück ist der brummige Pariser Kommissar Pierre
Niémans schon auf dem Weg zum fiktiven Tatort Guernon
in den Savoyen, und als er, aus einem Tunnel fahrend, die
schneebedeckten Gipfel in ihrer ganzen Majestät
erblickt, ist es, als sähe man die Berge zum
allerersten Mal, so brillant ist die visuelle Inszenierung
Arbogasts, und so berückend spielt dazu Bruno Coulais'
packende Musik - die beiden Künstler sind ein immer
wieder neu brillierender Gewinn für Les
rivières pourpres.
Niémans
also - vergnüglich rauhbeinig-struppig vom beliebtesten
Exportfranzosen Jean Reno verkörpert - nimmt seine
Ermittlungen auf und kommt durch fesselnd-dichte
Gespräche mit engagierten Nebendarstellern in
atmosphärischen Kulissen langsam dahinter, daß an
der ortsbeherrschenden, jahrhundertealten Privatuni einiges
nicht so ist, wie es scheint. Das müßte ihm
freilich schon am allüberall prangenden Unilogo
aufgefallen sein, das eine Kombination aus da Vincis
berühmtem Menschenbild und mens sana in corpore
sano darstellt - jenem Zitat, das trotz
jahrtausendelanger Miß- und Fehldeutung immer noch
nicht zu schweißtreibender Leibes- und
Geistesübung aufruft, sondern weiterhin die
verfettet-dekadenten Senatoren und Gladiatorenlaffen zu
Zeiten des Urhebers Juvenal geißelt. Ärgerlich,
wenn man's weiß, und ein erster Hinweis auf weit
ärgere Schlampereien, die den geneigten Zuschauer gegen
Ende erwarten.
Vor dem
Bis-zur-nächsten-Folge-Ende aber wollen die immer
unglaubwürdigeren Morde (inklusive Leichenfunden in
Smilla's Sense Of Snow-Settings und konservierten
Tränen aus den Siebzigern) gelöst werden, wobei
Niémans Hilfe vom unkonventionell-aufbrausenden
Kommissar Kerkérian erhält, der über die
Untersuchung einer vorgeblich nazistischen
Grabschändung, ein wunderbar lichtdurchflutet gefilmtes Gespräch
mit einer blinden Nonne und eine kurios Videospiele
nachahmende, seltsam deplaziert-lächerlich wirkende
Prügelszene auf die blutige Spur kommt, die nach
Guernon führt. Dort gerät er zuerst mit
Niémans aneinander, rauft sich aber bald mit ihm
zusammen, um im letzten Drittel des Films mit einigen
schönen Buddy-Momenten und spannenden Szenen (wie einer
wilden Autojagd im Dunkeln oder einer wie in Se7en
vergeblich-überraschend endenden Verfolgung eines
vermummten Verdächtigen) aufzuwarten, die die visuelle
Präsenz und die fesselnde Atmosphäre des
kurzweiligen Les rivières pourpres noch einmal
eindrucksvoll unterstreichen, ehe die beiden Helden zum
Showdown in die Berge aufbrechen.
Was dort,
den Wolken und den Gesetzen der Logik enthoben, passiert,
kann hier unmöglich wiedergegeben werden, einerseits,
um künftigen Zuschauern den Spaß an diesem bis
dahin gelungen-professionellen, in Teilen
erinnerungswürdigen Thriller nicht zu nehmen,
andererseits, um dem Gehirn des Drehbuchautors, das sich
pünktlich vor dem Aufsetzen der letzten Seite in Frostschutzmittel aufgelöst haben muß, die
letzte Ehre zu erweisen: eine solch akute Übelkeit
auslösende, dem Rest des Filmes lachenden Hohn
sprechende Mischung aus billigsten Groschenroman-Kniffen, an
den Haaren herbeigezogenen Nicht-Erklärungen,
oberpeinlichen Sperrholz-Dialogen und unmöglichen
Mondgravitationssprüngen würde selbst den
logikresistenten Michael Bay ins Koma fallen lassen, und es
fragt sich, ob Kassovitz und sein Autor Jean-Christophe
Grangé in ihrem ansonsten löblich-tapferen
Bestreben, das amerikanische Kino in jeder Hinsicht zu
überbieten, beim Finale nicht etwas zu sehr über
das Ziel hinausgeschossen sind - auch gut gemeinte
Übertreibungen sind, das walten Hakle und die rostige
Sicherheitsnadel, die diese Metapher zusammenhält,
manchmal doch nur für den - Kinder ins Bett und
Cybernanny an - Arsch.
1/2 von 5 Sternen.
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