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Les rivières pourpres

-- Europäisches Flair trifft amerikanischen Humbug --

Szene aus Les rivières pourpres

Info über Les rivières pourpres (F 2000)

Regie: Mathieu Kassovitz

Darsteller: Jean Reno, Vincent Cassel, Nadia Farès, Dominique Sanda, Karim Belkhadra, Didier Flamand

Inhalt: Die Polizeilegende Pierre Niémans und der hitzköpfige Kommissar Max Kerkérian kommen in einem abgelegenen Bergdorf einem dunklen Geheimnis auf die Spur.

Kritik: Vergleiche, Metaphern gar, sind der Maggi-Würfel in der kloßigen Suppe eines jeden Textes. Ein Meister, wer sie zur Vollendung gebracht hat und stilsicher anwenden kann, ohne dem Spott anheim zu fallen wie jener glücklose Autor, dessen Vergleich einer Frau mit einem Toaster ihm einen der Goldenen Himbeere nicht unähnlichen Literaturpreis bescherte. So sitze auch ich verzweifelt vor meiner Tastatur und versuche, mir clevere und witzige Metaphern für Les rivières pourpres aus meinem Geist zu saugen wie die letzten Klumpen Milchpulver aus einem Vanillemilchshake, in dessen Strohhalm ein Witzbold Dutzende kleiner Löcher gestochen hat. Wäre Mathieu Kassovitz' Film ein Wein, gliche er dann einem edel-aromatischen Tropfen von der Garonne oder einem äußerlich glänzenden, innen aber von Frostschutzmitteln durchsetzten Sud aus einem obskuren Château in der Bretagne? Käme er im Fernsehen, so als "FilmFilm", als "BielefeldPremiere", als "TV-Drama der Woche" oder im Nachtprogramm, verschämt zwischen zwei 0190-Stöhn-Spots gezwängt? Und müßte man sich mit Les rivières pourpres den, pardon, Hintern abwischen, wäre der Film dann hauchzart-wohlriechend wie ein vierlagiges, mit Vitamin B getränktes Streichelblatt oder eher wie das Sandpapierkonzentrat, mit dem alle Behörden und Staatsgebäude dieser Welt von einem geheimen Folterlabor aus beliefert werden? All das und noch viel mehr, zum Beispiel, warum man nur dann zitieren sollte, wenn man weiß, was man zitiert, im Folgenden.

Alles fängt, und ein bißchen wirkt schon das wie ein Zitat aus Alien: Resurrection, für den der weiterhin sträflich unterschätzte Darius Khondji die Kamera führte, mit einer stimmungsvoll insektigen Kamerafahrt über verrenkte Glieder und fürchterliche Narben an, für die Thierry Arbogast, im Hauptberuf das einzig Gute an vielen von Luc Bessons Filmen, verantwortlich zeichnet: ein obskur-symbolbeladener Mord natürlich, und sowohl die Entdeckerin der Leiche, die Glaziologin Fanny (eine apart-französische, wenngleich schauspielerisch mit einer Topfpflanze vergleichbare Seifenopern-Schönheit namens Nadia Farès) als auch der örtliche, intellektuell etwas schwachbrüstige ("Bill Gat-es") Polizeikapitän (ein energisch-glaubwürdiger Karim Belkhadra) wissen sich keinen Reim auf die Sache zu machen. Zum Glück ist der brummige Pariser Kommissar Pierre Niémans schon auf dem Weg zum fiktiven Tatort Guernon in den Savoyen, und als er, aus einem Tunnel fahrend, die schneebedeckten Gipfel in ihrer ganzen Majestät erblickt, ist es, als sähe man die Berge zum allerersten Mal, so brillant ist die visuelle Inszenierung Arbogasts, und so berückend spielt dazu Bruno Coulais' packende Musik - die beiden Künstler sind ein immer wieder neu brillierender Gewinn für Les rivières pourpres.

Niémans also - vergnüglich rauhbeinig-struppig vom beliebtesten Exportfranzosen Jean Reno verkörpert - nimmt seine Ermittlungen auf und kommt durch fesselnd-dichte Gespräche mit engagierten Nebendarstellern in atmosphärischen Kulissen langsam dahinter, daß an der ortsbeherrschenden, jahrhundertealten Privatuni einiges nicht so ist, wie es scheint. Das müßte ihm freilich schon am allüberall prangenden Unilogo aufgefallen sein, das eine Kombination aus da Vincis berühmtem Menschenbild und mens sana in corpore sano darstellt - jenem Zitat, das trotz jahrtausendelanger Miß- und Fehldeutung immer noch nicht zu schweißtreibender Leibes- und Geistesübung aufruft, sondern weiterhin die verfettet-dekadenten Senatoren und Gladiatorenlaffen zu Zeiten des Urhebers Juvenal geißelt. Ärgerlich, wenn man's weiß, und ein erster Hinweis auf weit ärgere Schlampereien, die den geneigten Zuschauer gegen Ende erwarten.

Vor dem Bis-zur-nächsten-Folge-Ende aber wollen die immer unglaubwürdigeren Morde (inklusive Leichenfunden in Smilla's Sense Of Snow-Settings und konservierten Tränen aus den Siebzigern) gelöst werden, wobei Niémans Hilfe vom unkonventionell-aufbrausenden Kommissar Kerkérian erhält, der über die Untersuchung einer vorgeblich nazistischen Grabschändung, ein wunderbar lichtdurchflutet gefilmtes Gespräch mit einer blinden Nonne und eine kurios Videospiele nachahmende, seltsam deplaziert-lächerlich wirkende Prügelszene auf die blutige Spur kommt, die nach Guernon führt. Dort gerät er zuerst mit Niémans aneinander, rauft sich aber bald mit ihm zusammen, um im letzten Drittel des Films mit einigen schönen Buddy-Momenten und spannenden Szenen (wie einer wilden Autojagd im Dunkeln oder einer wie in Se7en vergeblich-überraschend endenden Verfolgung eines vermummten Verdächtigen) aufzuwarten, die die visuelle Präsenz und die fesselnde Atmosphäre des kurzweiligen Les rivières pourpres noch einmal eindrucksvoll unterstreichen, ehe die beiden Helden zum Showdown in die Berge aufbrechen.

Was dort, den Wolken und den Gesetzen der Logik enthoben, passiert, kann hier unmöglich wiedergegeben werden, einerseits, um künftigen Zuschauern den Spaß an diesem bis dahin gelungen-professionellen, in Teilen erinnerungswürdigen Thriller nicht zu nehmen, andererseits, um dem Gehirn des Drehbuchautors, das sich pünktlich vor dem Aufsetzen der letzten Seite in Frostschutzmittel aufgelöst haben muß, die letzte Ehre zu erweisen: eine solch akute Übelkeit auslösende, dem Rest des Filmes lachenden Hohn sprechende Mischung aus billigsten Groschenroman-Kniffen, an den Haaren herbeigezogenen Nicht-Erklärungen, oberpeinlichen Sperrholz-Dialogen und unmöglichen Mondgravitationssprüngen würde selbst den logikresistenten Michael Bay ins Koma fallen lassen, und es fragt sich, ob Kassovitz und sein Autor Jean-Christophe Grangé in ihrem ansonsten löblich-tapferen Bestreben, das amerikanische Kino in jeder Hinsicht zu überbieten, beim Finale nicht etwas zu sehr über das Ziel hinausgeschossen sind - auch gut gemeinte Übertreibungen sind, das walten Hakle und die rostige Sicherheitsnadel, die diese Metapher zusammenhält, manchmal doch nur für den - Kinder ins Bett und Cybernanny an - Arsch.

***1/2 von 5 Sternen.

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