Kritik:
Die
gefährliche, aber preiswerte Disziplin des
Trittbrettfahrens ist, zumal in unseren talitubbiewirren
Zeiten, derart in Verruf geraten, daß nicht mal mehr
das harmloseste Muttersöhnchen sich noch traut, seiner
Erbtante Dr. Oetker-Tütchen zu schicken, auf daß sie
köstliche Plätzchen büke. The times, they are
a-changing. Doch - all movies and no politics makes den
Autor a dull boy - der Süden Deutschlands wäre
nicht Bayern und die CSU nicht Franz Josef Strauß' ewiger Wiedergänger,
wenn sie sich nicht fest wie die Weltesche Yggdrasil jeder
Änderung entgegenstellen würde, allem
stürmenden Zeitgeist zum Trotz.
So - Sonorus! - kam die große Stunde des Benno
Zierer, seine fünfzehn Minuten, sein Gleiten im
Windschatten all jener, die Zauberlehrling Potter und seine
Schöpferin Joanne K. Rowling wenn nicht wirklich, so
doch in Gestalt ihrer Bücher grimmig verbrennen:
Okkultismus! Schwarze Magie! Rot-gelbe (!) Schals! Soviel
satanische Umtriebe sind für einen rechtschaffenen
Abgeordneten aus dem blau-weißen Herzen des Freistaats
natürlich so sehr Gift, wie sie für den
leichenfahlen Autor und seine ghoulgleichen Freunde Nektar
sind. Zur dunklen Mitternacht also in den schwarzen
Kinosaal, um eine okkulte Messe zu feiern, auf daß das
Geld aus unseren Taschen flösse wie goldenes Blut. Und
mit Geistesstärke / Tu ich Wunder auch -
Imperio, Leser, und brav weiterlesen!
Alles
fängt, und natürlich kann ein Kenner des Buches
schon hier und in allem Folgenden nicht umhin,
beständig zu vergleichen, abzuwägen, zu
rätseln und auf die nächste Szene zu warten, nicht
mit einem Morgen bei den furchtbar spießigen und
bösartigen Dursleys an, die ihren Neffen Harry in einer
Besenkammer unter der Treppe halten, sondern mit Albus
Dumbledore, der von Richard Harris liebevoll, aber etwas
humorkarg gegeben wird. Zusammen mit der köstlich
schmallippigen Maggie Smith als Professor McGonagall und dem
wunderbar bärigen Robbie Coltrane als Wildhüter
Hagrid legt er den jungen Harry vor die Tür der
Dursleys, die nach der Ermordung seiner Eltern durch den
bösen Magier Voldemort (Richard Bremmer in einer leider
eher langweilig-farblosen Kutte) seine einzigen Verwandten
sind. Schon hat John Williams, im Alter offenbar immer
harthöriger, eine Gelegenheit gefunden, das Orchester
ausdauernd wimmern zu lassen, was sich trotz des schön
eingängigen Grundthemas vor allem in eher banalen
Szenen bemerkbar macht, die durch die
bombastisch-sentimentale musikalische Untermalung gerade so
wirken, als sprächen nicht zwei Elfjährige
über Schokoladenfrösche, sondern Jupiter und Hades
oder mindestens die Chefs von AOL und TimeWarner über
das Schicksal der Menschheit.
Zehn Jahre
später, nachdem der unwissende Harry zum jungen Daniel
Radcliffe herangewachsen ist, leider von ebenso
bläßlicher Haut wie Schauspielkunst -
halbtalentierte Kinder zu guten Schauspielern zu machen,
fällt selbst gestandenen Regiegrößen oft nur
zu schwer; um wieviel mehr dann einem (hier dennoch auf
unerwartet überraschende Weise meist über sich selbst
hinauswachsenden) groben Leinwandkleckser wie Chris
Columbus -, wird er von Hagrid salopp über seine Herkunft aufgeklärt und
nach dem Kauf seiner Schulsachen in der aufwendigen Kulisse
von Londons Diagon Alley (unter anderem mit einem
mysteriösen John Hurt als Zauberstabverkäufer
Ollivander) in den von Gleis 9 3/4 des Londoner Bahnhofs
King's Cross abfahrenden Expresszug zur Hexen- und
Zaubererschule Hogwarts gesetzt.
Im Zug lernt der Waisenjunge zum ersten Mal in seinem Leben
andere Kinder kennen, die so wie er sind, und mit dem
eigentlich zu kleinen Rupert Grint und der im Prinzip zu
gutaussehenden Emma Watson betreten zwei Talente die
Bühne, in deren Gegenwart auch der fast konturlose
Daniel Radcliffe immer zu strahlen scheint: Grint als
sarkastisch-freundschaftlicher, am Ende glaubhaft mutiger
Ron ergänzt Watson als wunderbar wuschelköpfige,
allwissend-naseweise, im Kern aber herzensgute Hermione so
glänzend, daß selbst Columbus und sein insgesamt
etwas zu ernsthafter Screenwriter Steven Kloves nicht umhin
konnten, den beiden sowas wie eine finale Flirtszene zu
spendieren, im ungeduldigen Vorgriff auf
Kommendes.
Bis es aber
zum Kommenden kommt, wollen weitere Schauplätze und
-spieler zu ihrem Recht kommen: nach der Willkommensfeier in
der liebevoll ausgestatteten großen Halle lernt Harry
nach und nach seine weiter erstaunlich gut besetzten
Mitschüler wie Neville Longbottom (Matthew Lewis als
wahrhaftige menschliche Inkarnation eines so pummeligen wie
tolpatschigen Meerschweinchens), Vincent Crabbe, Gregory
Goyle und Draco Malfoy (James Waylett und Joshua Herdman als
rechte Prototypen moosbedeckter Felsbrocken und Tom Felton
als nasskämmend-hochnäsiges rich kid)
näher kennen, lernt vom winzigen Professor Flitwick
(Warwick Davis, natürlich), wie man Federn explodieren
lässt, von der dominanten Madam Hooch (Zoë
Wanamaker), wie man auf Besen fliegt, und vom unheimlichen
Professor Snape, warum man in seinem Unterricht besser aufpassen
sollte. Wenn Snape nämlich - vom wundervollen Alan
Rickman in seinen viel zu kurzen Szenen berauschend und
präzise gegeben - den unaufmerksamen Potter mit seiner
unglaublich tief-melodischen Stimme zynisch zusammenstaucht
("Mr. Potter. Our... new... celebrity."), kriecht auch der
Zuschauer wimmernd vor Scham ins hinterste Eck seines
Kinosessels, so voll Mitgefühl mit dem armen Harry wie
beeindruckt von der tollen Darstellung Rickmans.
Nicht
beeindruckt, sondern leider ebenfalls wimmernd wie John
Williams' Orchester wird man dagegen die Spezialeffekte
zur Kenntnis nehmen, die nicht nur rasante Besenritte,
sondern auch dreiköpfige Hunde, Trolle und
Schlüssel mit Flügeln so unecht, steril und
künstlich wirken lassen, daß man sich einerseits
die guten alten Puppen und Modelle zurückwünscht
und sich andererseits fragt, ob Columbus wirklich ILM und
Sony Pictures Imageworks verpflichtet oder aus lauter Angst
vor Überschreitung des kolossalen Budgets nicht doch zu
seinem eigenen Computer mit Zeichenprogramm gegriffen
hat. Eine solche Arbeitsbelastung würde auch erklären,
warum Kloves und Columbus trotz zweieinhalb Stunden Film
kaum Zeit finden, köstliche Scherze aus dem Buch zu
zeigen, einige Nebencharaktere einzuführen und wichtige
Details zu erwähnen, so lange, bis selbst einer von
Hagrids Sätzen keinen Sinn mehr ergibt.
Trotzdem finden
Harry, Ron und Hermione nach einigen vor allem für
kleinere Kinder wahrscheinlich eher gruseligen Passagen
genug über den titelgebenden Stein der Weisen heraus,
um dessen potentiellem Dieb in einer actiongeladenen, vom
begabten John Seale spannend gefilmten und ausnahmsweise
sogar tricktechnisch
faszinierenden Sequenz auf die Schliche zu
kommen, einigen gelungenen stimmlichen Darbietungen zu lauschen und sich schließlich in den überraschenden Endkampf zu stürzen.
Harry
Potter and the Philosopher's Stone wäre
natürlich kein Kinderfilm, wenn am Schluß trotz
voriger Gefahren nicht doch alles gut ausginge, und so
bricht Harry nach einer erklärend-beruhigenden, aber
stark verkürzten Rede Dumbledores endlich in einen langen
Sommer, den Abspann und direkt in die Fortsetzung auf, die
so sicher kommt wie die Dollarzeichen in den Augen der
Studiobosse beim Gedanken an weitere Merchandise-Milliarden.
Fragt sich nur, ob der greenback sich auch in Zukunft
noch mit einem Jungen verträgt, der in Sickles und
Knuts rechnet - daß der vorliegende Film trotz aller
Nachlässigkeiten noch gut geworden ist, bleibt nicht
dem Auftragsarbeiter Columbus, seinem sklavischen
Drehbuchautor oder dem Hauptdarsteller zu verdanken, sondern
den inspirierten Nebendarstellern und, esprit de
l'escalier, dem Buch.
  1/2 von
5 Sternen.
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