Kritik:
Michael Bay macht
einen Liebesfilm. Michael Bay. Einen Liebesfilm. Und
während diese vier Worte langsam einsickern, sind wir
schon - ratta-bratta-zäng! - mitten in der Kritik, denn
Zeit ist heuer rar, so rar, daß Meister Bay es in den
ganzen drei Stunden seines Kriegsepos nicht schafft, Zeit
für eine einzige gelungene Szene zu finden. Schnell -
kracka-bawumm! - weiter!
Michael Bay
also - brat-tat-tat-tat-zoooom! - dreht einen Liebesfilm,
und weil zu einem richtigen Liebesfilm goldene
Sonnenuntergänge, sprühende Gischt und stramme
Palmen gehören, dreht Bay ihn auf Oahu, einer der
hawaiianischen Inseln. Wie praktisch, dort liegt ja Pearl
Harbor! Wie praktischer, Pearl Harbor wurde im Zweiten
Weltkrieg ja ganz fürchterlich zerbombt! Wie
am praktischsten, das eröffnet ja ungeahnte
Möglichkeiten für Action und Explosionen!
Action! Explosionen! Glühend heiße
Feuerbälle! In Agonie verzerrte und verbrannte
Körper! Hei, da lacht Michael Bay, und schon ist
Pearl Harbor geboren, der größte Film der
Welt, des Universums, vielleicht sogar der größte
Film der USA!
Vor diese orgasmischen Superlative, diese leidenschaftlichen
Eruptionen aus Gas, Feuer und Rauch, diese unwiderstehlichen
Penetrationen der Schiffsleiber durch Torpedos aber hat Bay,
ein kleiner Sadist gar, das Warten gesetzt. Das Warten
darauf, daß etwas geschieht, daß vielleicht ein
fähiger Schauspieler auftaucht, jemand, der einen Satz
absondert, der nicht peinlicher ist als das, was wir mit
zwölf von uns gegeben haben, jemand, dessen mimisches
Ausdrucksvermögen über das von Kens
angeschweißter Unterhose hinausgeht.
Indes, Bay
hat nur Ben Affleck und Kate Beckinsale, und so wie Barbie
und Ken ihre Knie nie beugen können, weil ihnen das
Scharnier fehlt, können auch die beiden Turteltauben
immer nur eine Emotion auf einmal zeigen, ganz so wie
Lego-Männchen, denen man jedesmal, wenn man sie traurig
machen möchte, einen neuen Mund aufmalen muß. So
staksen Affleck, hier ein analphabetisches Fliegeras mit
zackiger Uniform, meist so fotografiert, als gälte es,
Nietzsches Übermenschen neu zu interpretieren, und
Beckinsale, hier ein tugendhaftes und "gefühlvolles"
Karbolmäuschen, ohne Kniegelenke durch die amerikanischen
Militäranlagen, und wir erfahren, daß Bay und
sein Drehbuchautor den romantischsten Moment im Leben einer
Frau darin sehen, daß ihr Geliebter einen - Achtung,
Brüller! - Champagnerkorken auf die Nase bekommt.
Unbeholfen und ganz so, als sei es ihr überaus lästig und peinlich, klebt John Schwartzmans
hektisch-wacklige Kamera auf den starren, bonbonbunt
eingefärbten Gesichtern und schneidet ihnen dabei
regelmäßig die Stirnen ab (ein Schelm, wer hier
eine versteckte Symbolik vermutet...), und wäre da
nicht der sympathische Josh Hartnett als eine Art
männliche Skipper, wäre der viel zu lange erste
Teil von Pearl Harbor ganz und gar
verloren.
Affleck
nämlich, seit der kornfeld-kitschigen Kinderzeit in
Tennessee der beste Freund Hartnetts, lernt zuerst die
adrett-attraktive Kate Beckinsale so kennen, wie sich
Michael Bay eben vorstellt, wie man Frauen kennenlernt, um
sich sodann freiwillig für die -
brrrrrruuuummmm-wusch-wusch-wusch! - Battle of Britain zu
melden, bei der er nicht nur den mit einem
unverständlichen Akzent sprechenden Briten auf ihrer
natürlich ständig verregnet-unfreundlichen Insel
zeigt, was ein amerikanischer Held ist, sondern auch
abgeschossen und für tot erklärt wird. Beckinsale
und Hartnett, mittlerweile zur Pazifikflotte nach Pearl
Harbor verlegt, trösten sich gegenseitig und verlieben
sich ineinander, und als Affleck, von französischen Fischern gerettet, zurückkehrt, ist das Chaos komplett,
und der Zuschauer und alle Akteure möchten aus
Leibeskräften schreien: eine solche Aneinanderreihung
von grellbunt-lautem Kitsch, unerträglichen Dialogen
auf Lobotomisierten-Niveau, plattesten Kinderwitzen,
papierdünn-konturlosen Sidekicks und schlimmster
amerikanischer Prüderie (um das PG-13-Rating nicht zu
gefährden, verhalten sich selbst die nicht fluchenden,
nicht rauchenden und immer frisch rasierten Matrosen der
Navy bei der Ankunft der neuen Krankenschwestern
tugendhafter als Popeye bei seiner Olivia) ist selbst
für einen Hollywoodfilm einmalig.
Zum
Glück - ka-tschakka-tschakka-tschakka! -, und man
glaubt fast schon, Michael Bay hätte endlich
aufgehört, James Cameron und Titanic zu
imitieren, und Hans Zimmer hätte endlich
aufgehört, aus seinem eigenen The Lion
King-Score zu klauen (vergeblich, wie sich bald
herausstellen wird), hält dieser einer chinesischen
Tröpfchenfolter gleichende Zustand nicht lange an,
sondern entlädt sich - badabumm-karach! - aufs
Heftigste im tricktechnisch teilweise faszinierenden, teilweise langweilenden Angriff der (wenigstens halbwegs differenziert
dargestellten) Japaner auf die Pazifikflotte. Der Rezensent,
der Pearl Harbor gewalttätige Ausbrüche
unterdrückter Sexualität
bescheinigte, hat alles andere als unrecht: die japanischen
Flieger, gesteuert von schwitzenden, dreckigen Männern,
die sich Bilder ihrer Ziele wie Pin-Ups an ihre Konsolen
heften, vollziehen, gigantischen Phalli gleich, den Akt, und jede
Vereinigung endet in einer gewaltigen Explosion aus Feuer,
Blut und Eingeweiden, als gälte es, alles, was das
Weibliche darstellt (so wie Schiffe seit jeher),
möglichst feurig und brutal zu zerfetzen. Was
für ein Frauen- und Menschenbild allgemein Bay mit
diesen Bildern transportieren möchte, bleibt unklar,
und man möchte es auch gar nicht genauer wissen. Zimmer und Schwartzman
können zu diesem bösen Spiel nur gute Miene machen
und weiter hemmungslos ganze Szenen aus Titanic und
Gone with the Wind kopieren oder ganze Melodien aus
The Lion King und The Thin Red Line Note
für Note abschreiben.
Man
wünscht, sie hielten es immer so, da Zimmers Musik
ebenso wie Schwartzmans Kamera, wenn beide mal nicht klauen,
ungewohnt schwach, hektisch, wirr und fahrig ist, so etwa,
wenn es darum geht, die Helden der Lüfte Affleck und
Hartnett in ihren recht glaubwürdig aussehenden
CGI-Fliegern zu zeigen, wie sie gegen die Japaner zu Felde
ziehen. Die schnellen Schnitte ersticken jeden Anflug von
Atmosphäre, Zeit- oder Raumgefühl im Ansatz, und
zurück bleiben nur unzusammenhängende,
pseudo-emotionalisierende Bild- und Klangfragmente, die bei
einer sorgfältigeren und weniger auf die Zerstörung fixierten Inszenierung durchaus das Zeug
dazu gehabt hätten, länger in Erinnerung zu
bleiben. Bay aber, und so richtig wird das erst in der
lächerlichsten Filmszene seit langer Zeit klar - als
Franklin Delano Roosevelt zur Steigerung der Kampfmoral aus
seinem Rollstuhl aufsteht nämlich -, interessiert sich
nicht für Menschen, Schicksale und Geschichte, ja nicht
mal dafür, seine Explosionen wenigstens seinen
Zuschauern ordentlich zu zeigen, sondern einzig und allein
dafür, immer neue Ausreden zu finden, um mit einer fast
manisch zu nennenden Freude Schiffe, Gebäude und
Menschen auf seinen Wink hin in die Luft zu jagen. So
ertrinken über eintausend Soldaten im Bauch der gekenterten USS Arizona, Hunderte verbrannter Opfer suchen Zuflucht
im völlig überbelasteten Krankenhaus, und der
rassistisch unterdrückte Hilfskoch Doris Mitchell, eine
historische Figur, wächst über sich hinaus, um
seine Kameraden zu retten, und alles, was Bay zu zeigen
vermag, sind zwei abgekupferte Titanic-Szenen und schlierig-unscharfe PG-13-Bilder verbrannter Menschen.
Was aus
solchen Vorlagen in den Händen fähiger Regisseure
geworden wäre, mag man sich gar nicht vorstellen, zu
grausam ist es schon, nach dem einstündigen Vorlauf und
dem einstündigen Angriff auf Pearl Harbor noch eine
weitere Stunde sitzenbleiben zu müssen, bis endlich der
Abspann beginnt. In den letzten sechzig Minuten fährt
Michael Bay mit Barbie, Ken und Skipper und den sonst
fähigen Darstellern Jon "Jolie Senior" Voight (hier als die
unumschränkte Lichtgestalt dargestellt, die Roosevelt
nie war), Dan Aykroyd (hier als verfettete Kassandra) und Alec Baldwin (hier als Haudegen Jimmy
Doolittle) ein solches Maß an plattem Nationalismus, abstrusen Logikfehlern, unmöglicher
Kamikaze-Glorifizierung und schrecklich lächerlichen
Holzschnittdialogen auf, daß man über den
unerträglich waffenstarrend-riefenstahlig in Zeitlupen
zelebrierten Militarismus der letzten Szenen nur noch lachen
kann. Ein Blick auf die versunkene Titanic und eine
peinliche Rede Beckinsales noch, und endlich, endlich hat das Leiden ein Ende. Benommen taumelt man nach Hause, und nur der
inständige Schwur, es Michael Bays Auffassung von Liebe
nicht nachzutun, hält einen davon ab, gegen den
Projektionisten, den Popcornverkäufer und vom
Kabelträger bis zum Produzenten gegen alle, die
für dieses fürchterliche Machwerk verantwortlich sind,
in NC-17 vorzugehen. Karach-zaboom!
1/2 von
5 Sternen.
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