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Nackt

-- Doris Dörrie nackt --

Szene aus Nackt

Info über Nackt (D 2002)

Regie: Doris Dörrie

Darsteller: Heike Makatsch, Nina Hoss, Alexandra Maria Lara, Jürgen Vogel, Benno Fürmann, Mehmet Kurtulus

Inhalt: Ein Abend in der geschlossenen Abteilung.

Kritik: Man muß sich den wohlwollend-kritisch stützenden Beistand zum ewiglich schmerzhaft zwischen Leben und Tod schwebenden deutschen Film als verschärfte Form einer griechischen Götterstrafe vorstellen, mit dem Film als unbarmherzigem Felsen und einem selbst als kraftlosem Sisyphos. Wo aber der echte Sisyphos noch einen halbwegs kugelförmigen Stein einen granitenen Berg hinaufrollt, muß der deutsche Gestrafte einen tonnenschweren, quadratischen, mit rasiermesserscharfen Kanten und Spitzen bewehrten Block ein keinerlei Halt gebendes Massiv aus Lehm und Matsch hinaufwuchten, bis der hinfällige Kritikerkörper aus allen Poren blutet. Und schließlich, wenn er kurz vor dem Gipfel angekommen ist, seinen ausgemergelten Leib mit aller Kraft gegen den kalten Stein stemmt und doch nicht verhindern kann, daß der Block sich wieder auf den langen Weg ins Tal macht, kann der antike Sisyphos doch immer noch dem rollenden Fels ausweichen, tief betrübt und zugleich tief erleichtert nachsehen und schließlich guten Mutes auf eigenen Füßen den Abstieg wagen, bei dem er, wie uns Camus lehrt, glücklich sein muß. Der Kritikersisyphos aber zittert schon, wenn er den Gipfel nur in der Ferne sieht, denn er weiß, daß der tückische, nachtschwarze Findling im unerwartetesten Moment unaufhaltsam losrutschen, den Rezensenten vollständig zermalmen und sadistisch zu Tal reißen wird, wo er diesen so tief begräbt, daß es ihn Wochen und Monate kostet, sich unter Aufbietung der allerletzten Kräfte ans Licht zu kämpfen, nur um die teuflische Tortur von neuem zu beginnen.

Ein solcher Film, der den Felsen und alle ihn angestrengt schiebenden Kritiker nach Monaten der hoffnungsvollen Aufbauarbeit mit Wucht wieder in den tiefsten, dunkelsten Abgrund des Tartaros schleudert, ist Doris Dörries neues, im endlosen Proseccorausch entstandene Psycho-Postemanzen-Machwerk Nackt, für das sich unverständlicherweise nicht nur die eigentlich sympathischen und für einigermaßen schlau gehaltenen Schauspielerinnen Heike Makatsch, Nina Hoss und Alexandra Maria Lara hergeben, sondern auch der deutsche John Toll Frank Griebe. Es ist zum Zeuserbarmen, dieser Kamerakoryphäe dabei zusehen zu müssen, wie sie zwar die üblichen wunderbaren, klarweichen, farbsatten Bilder schafft, dabei aber nur zum Schreien grauenhafte, neoliberale Spaßgesellschaftsmöbel und ausgesucht abstoßende Kleiderentwürfe aus Moshammers Papierkorb aufnehmen darf. Dazu kommen die in deutschen Superweib-Produktionen dieser Art wohl unvermeidliche Siebziger-Jahre-Porno-Synthi-"Musik", unerklärlich schlampige Anschlußfehler, unerträgliche männliche Darsteller und allem voran, an der Spitze dieser völlig enthemmten, penetranten Loveparade der Peinlichkeiten, die natürlich von der Regisseurin Dörrie höchstselbst verfaßte und verfaßtinne Drehbuchin.

Das namenlose Grauen jenes Schriftstücks in Worte fassen zu wollen gleicht dem Versuch, einem Blinden Dieter Bohlens "Gesicht" zu beschreiben - man findet keine menschgemachten Worte mehr für diesen satanischen Höllenrachen, außer im weiten Rekurs auf den großen, längst von uns gegangenen Dante, welcher zynischerweise auch in Nackt einmal beschworen wird: lasciate ogne speranza, voi ch'intrate.
Doch weil wie zu Dantes Zeiten erst einer in die Hölle reisen mußte, um den sündigen Seelen von ihren fürchterlichen Schrecken zu berichten, so fand auch ich mich mittwegs auf meines Lebens Reise in eines finstren Kinos Nacht verschlagen, um endlich mit dieser Kritik zurückzukehren, die im Grunde nur sechs Buchstaben wieder und wieder wortreich umkreist: F-L-I-E-H-E!

Sollte auch dieser eindringliche, von Herzen kommende Appell den geneigten Leser nicht bewogen haben, dieses vertrocknete Dörrieobst zu meiden wie die zahllosen kryptofaschistischen Hera-Lind-Übermenschinnen-Romane - vielleicht weil er oder erIn(nye) wie ein Großteil des piccoloflaschenfröhlichen Publikums in meiner Nackt-Vorstellung zu eben jenen Gaby-Hauptmann-Groupies gehört, die glauben, durch beständige blutige, literarische Männerkastration den vollkommenen und unfehlbaren Traumprinzen beschwören zu können, dem sie sich sodann, Emanzipation ade, völlig hingeben würden -, folgt zur weiteren Abschreckung eine genauere Beschreibung der immer tiefer gelegenen Kreise des Hades, in die Doris Dörrie den Zuschauer blitzgeschwinden und zielstrebigen Schrittes führt.

Alles beginnt und endet mit der lieben Heike Makatsch, die hier aber dank der erwähnten Mode aus Daisys Hundekleiderkiste und einer unvorteilhaften Kurzhaarfrisur wie ein gestrandeter Molch aussieht. Sie hadert mit ihrem Ex Benno Fürmann, der zwar weder schauspielern kann noch Ausstrahlung besitzt, aber wenigstens auch kaum negativ auffällt - wie ein praktischer Holzscheit, den man als Türstopper und nachher zum Feuermachen verwenden kann. Jedoch unterhalten sich die beiden nicht wie normale Menschen, sondern wie soziopathische, neurotische und an akuten Psychosen leidende Insassen einer geschlossenen Anstalt, die glauben, sie wären postmoderne Yuppies - Dialoge: Doris Dörrie.
Schnitt und Wechsel zur hier schwarzhaarigen, in emotionsgeladenen Szenen leider völlig versagenden Alexandra Maria Lara und ihrem mit einem völlig zerstörten Gebiß geschlagenen Lover Jürgen Vogel. Die beiden scheinen glücklich, drohen aber jederzeit, ihre Beziehung durch das nun bereits bekannte phoney-reflexive Pseudo-Metageschwätz gründlichst zu zerstören. Zwischendurch ein paar komplett unzusammenhängende DV-Bilder, die wieder einmal nachdrücklich beweisen, daß man nicht auf einen Zug aufspringen sollte, wenn man nicht einmal weiß, wohin er fährt, und schon sind wir im entsetzlich eingerichteten Haus der etwas skelettartig anmutenden, ihre ungezügelt psychisch kranke Rolle furchterregend ausspielenden Nina Hoss und ihres reichen Mannes Mehmet Kurtulus, der das einzige einigermaßen genießbare Lied des ganzen Films - ein Sezen Aksu-Lied - auflegt und so der Dankbarkeit geplagter Zuschauerohren wenigstens für zwei Minuten sicher sein kann. Selbstredend hat jedoch auch er dringend einen kompetenten Therapeuten nötig und vor allem einen geschmackssicheren Helfer, der seine Krawatten aussuchen sollte.

Die sechs "Freunde" treffen sich zu einem luxuriösen Abendessen in Hoss' Domizil, bei dem sie zuerst auf unsagbar hölzern-artifizielle Weise möchtegern-verständige Beobachtungen über die Liebe und das Leben auf ihre Teller rotzen, um dann im Suff auf die hirnrissige Idee zu verfallen, sich gegenseitig zu begrabbeln und zu begrapschen, um zu noch tieferer Erkenntnis zu gelangen. Was wie ein Flirtleitfaden für Exhibitionisten und zwanghafte Fummler klingt, wird in diesem Höllenpfuhl schließlich bittere, dank Griebes, Laras und Hoss' Einsatz aber wenigstens ausnahmsweise ansehnliche Wahrheit. Doch auf einer positiven, für den Zuschauer halbwegs erträglichen Note darf Nackt natürlich nicht enden, und so folgt auf den physischen Strip der Schauspieler der geistige Doris Dörries, dessen Ergebnis vielleicht in ein Panoptikum der grauenvollsten Abnormitäten, aber gewiß nicht vor die Kamera gehört. Ein ganz und gar verlogenes, mit aller Gewalt erbarmungslos hingebogenes, halboffenes "Happy"-End noch, und endlich kann man zermalmt und zerstört ob soviel schrecklichen Einblicks in den tiefsten, dunkelsten Abgrund von Dörries gleichzeitig post- und präfeministischer, rettungslos verquaster Perlweinprosa auf der Bahre nach Hause getragen werden. Il faut imaginer le Sisyphe allemand tout à fait malheureux.

*von 5 Sternen.

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