Kritik: Es gibt,
schmerzlich und verschlungen sind die Wege dieser
Erkenntnis, keine Liebe mehr unter den Menschen. Für
einen wie Baz Luhrmann, der durch Romeo + Juliet
genanntes nekrophil-makabres Spiel mit William Shakespeares
wehrlosem Werk und Skelett bekannt wurde, ein
unerträglicher Zustand, weshalb er, dem Brüllen
des brünstigen Hirsches mehr verbunden als dem
Schweigen des Gentlemans, sich anschickte, gemeinsam mit
seiner Lebensabschnittspartnerin und Kostümbildnerin
Catherine Martin den ultimativen Liebesfilm zu schaffen, die
letztgültige Romanze, Adam und Eva am Ende aller
Zeiten. Mit Ausrufezeichen und selbst durchgeführter
Filminterpretation, so kategorisch, daß sie zweimal
wiederholt werden muß: "...but above all, this is a
story about love". Keine Widerworte!
Seltsam
nur, und wieder soit honi qui mal y pense, daß
Luhrmann die Liebe nur dort zu finden meint, wo sie gekauft
wird wie Schmuck und Kartoffeln, kreischend feilgeboten wird
wie auf dem Wochenmarkt: im legendären Pariser
Nachtclub "Moulin Rouge". Die gute Hure, die ewig
tränendrückende Wiedergängerin der
Filmgeschichte, feiert Urstände, und an der Spitze
aller neuen Irmas marschiert Nicole Kidman, aus voller Kehle
singend, zwar nicht besonders gut, aber dafür besonders
laut. Bei soviel Herzensgüte kann natürlich auch
der Chefzuhälter und Clubleiter Zidler, von Jim
Broadbent berauschend
tonnenbäuchig-zirkusdirektorpräsent gegeben, nicht
zurückstehen und behandelt seine Mädchen, als
wären sie seine leibhaftigen Töchter statt seiner Untergebenen. Kein Wunder,
daß die Mühle so zum beliebtesten Treff der
feinen Pariser Gesellschaft avanciert, die zu mehr oder
weniger gelungenen Christina Aguilera-, Queen- und
Madonna-Medleys und -Remixes die bunten Röcke, Bilder und Töne in einem so furiosen Tempo wirbeln
läßt, daß der Zuschauer von Kopfschmerzen so schwindlig wie von Begeisterung trunken wird.
Trunken ist
das Stichwort für Ewan "Jedizopf" McGregor, der auf der
Suche nach Liebe nach seiner Ankunft in einer
heruntergekommenen Montmartrer Mansarde zuerst einige durch
seine Zimmerdecke brechende Bohemiens kennenlernt, die er
mit einem John Lennon-Zitat bezaubert, dann die
Bekanntschaft der von der koboldkleinen Kylie Minogue unerwartet
selbstironisch gespielten Grünen Absinthfee macht und
schließlich in einem Rausch aus Bildern und Musik in
den "Moulin Rouge" gerät, wo er mit der blass-schlappen
Gary-Oldman-Karikatur Richard Roxburgh verwechselt wird, was
ihm eine Nacht mit Nicole Kidman einbringt. Allein,
außer der wirklichweltlichen angeblichen
Zerstörung der Rock-Hudson-Gedächtnis-Ehe
Kidman/Cruise passiert im Gefolge der ersten Begegnung
McGregors mit Kidman bis auf einen gelungenen dirty talk-Ulk und eine seltsamerweise an Der Schuh
des Manitu erinnernde Revueszene leider nichts, was auch
ein im Keller angeketteter Kaspar Hauser nicht schon
hundertmal besser gesehen hätte: die altbekannte Troika
Schmachten, Plärren, Knutschen kann auch ein
sympathisch grinsender (aber allzu lauthals-penetrant
Popsongs zitierender) Ewan McGregor selbst dann nicht überraschend
und neu machen, wenn sie auf dem Rücken eines glitzernden Wohnelefanten spielt, Bluthusten kann auch eine Nicole Kidman
nicht interessant wirken lassen, wenn er sich auf
ästhetisch-verlogenes Sprühen feinster roter
Tröpfchen in seidene Spitzentaschentücher
beschränkt, und einen Film, der schon in seiner ersten Minute seinen Clou, sein Ende, sein eigentliches Signifikans verrät, kann auch ein im Ansatz einfallsreicher,
aber kitschbesoffener Hans-Guck-in-die-Luft-Regisseur wie Luhrmann nicht
retten.
So gibt
sich, fünf Akte sollt ihr spielen, eins zum anderen, der rasanten und hervorragend
opulent-eruptiven Exposition und der vorhersehbaren Peripetie
folgen in einem Tsunami aus Tränen die klischeehaft-pseudobrutale Retardierung mit ästhetisiert-verharmlosten Prügeln und die luxuriös ausstaffierte Katastrophe, die allen beteiligten Künstlern einen
letzten Energieausbruch abverlangt, den Luhrmann aus Angst
vor seiner eigenen Courage aber teilweise kastriert, um doch
noch möglichst sanft dorthin zu gleiten, wo er schon am
Anfang war. So endet Moulin Rouge! nicht mit einer
durch filmischen Rückenwind vorangetriebenen
Himmel- oder Höllenfahrt in den Sonnenuntergang, sondern wie ein Segelschiff
nach einem (Bilder-)Sturm. Ohne Masten. In der Flaute.
 1/2 von 5 Sternen.
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