Kritik:
An Tagen, wenn -
der Held und sein Wetter - innen, außen und in der
Welt Schnee fällt, ein gnädiges Leichentuch
über alles vergangene Schicksal, hilft es, vielleicht,
ins Kino zu gehen, um sich zu entsinnen, daß es eine
Zeit gab, in der ein Titel wie "Die zwei Türme" keine
politische Anspielung war, eine Zeit, in der im
Frühling nur Blüten und im Herbst nur Blätter
regneten und keine Asche. Wintergedanken eines Kritikers, so
bitter, wie es des Standes ziemt.
Allein, es
fragt sich, ob ein professionell depressiver Kritiker, so er
denn überhaupt den Weg in Peter Jacksons Lord of the
Rings: The Fellowship of the Ring gefunden hat -
bekanntlich steht die Rezensentenzunft seit fünf
Jahrzehnten auf Kriegsfuß mit den beim Volk dennoch -
oder gerade deswegen? - immens beliebten Büchern John
Ronald Reuel Tolkiens, auf denen Jacksons Adaption basiert
-, überhaupt lebend aus dem Kinosaal ins Licht des
Foyers tritt oder gleich die Abkürzung ins Rotlicht der
Vorhölle nimmt: so wehmütig ist der Film
bisweilen, so süß werden alte, glorreiche Tage
besungen, daß es scheint, als wäre nicht nur auf
der Leinwand, sondern auch im Saal alles Leuchten im Dunkel
vergangen.
Aber, und damit genug der melancholischen Schwere und
zurück zu den bekannten Kalauern auf niedrigem Niveau,
das ist nur die erlöschende Kinobeleuchtung, und schon
beginnt der Film, und Galadriels Stimme, von Cate Blanchett
bewundernswert intensiv und klar gegeben, erzählt von
der Geschichte des Einen Ringes, geschmiedet von Sauron, dem
Verräter. Kaum hat man Zeit, sich darüber zu
wundern, daß Peter Jackson, im weiteren Verlauf des
Filmes zu einer Art Idol aufsteigend, uns gleich zu Anfang
einen seiner wenigen Fehler in Gestalt eines
übergewichtigen Sauron mit brauner Schürze und
einer aus Eitelkeit zwei Nummern zu klein gewählten,
lächerlich verzierten
Ich-bin-böse-und-das-ist-auch-gut-so-Rüstung
vorsetzt, da geht es zwischen Orks und Elben und Menschen
auch schon so bombastisch zur Sache, daß die Wartezeit
auf die folgenden Teile mit noch größeren
Schlachten wieder um ein Vielfaches länger zu werden
scheint. Der Elb Gil-galad und der Mensch Elendil ziehen mit
ihren Armeen gegen den Dunklen Herrscher zu Felde, und der
von Jacksons, Fran Walshs und Philippa Boyens' packendem
Skript, Andrew Lesnies atmosphärischer Kamera und
Howard Shores bewegender Musik wunderbar als der eigentliche
Hauptdarsteller in Szene gesetzte Ring kommt zu ihnen, nur
um sogleich wieder im Dunkel der Geschichte zu
verschwimmen.
Fast genau
dreitausend Jahre später kommt der Zauberer Gandalf ins
Shire, und der Weight-Watchers-Sauron ist verziehen und
vergessen: so idyllisch ist die wunderschöne,
sommergrüne Hügelchenlandschaft, so bezaubernd
spielt die Musik, so kugelrund, lebens- und sinnenfroh sind
die digital völlig unmerklich um einen Meter
verkleinerten Hobbits (ein Paradebeispiel und eine der
vielen vollkommen ideal besetzten Personen ist Sarah McLeod
als rosig-runde Rosie Cotton), und so gut sind Elijah Wood,
Ian Mc Kellen und selbst die feuerwerksbegeisterten
Hobbitkinder, daß auch dem verbissensten Griesgram das
Herz übergeht und Gelächter selbst dann immer noch
ertönt, wenn man die Szene, in der Gandalf behauptet,
ein Zauberer erscheine immer zur genau richtigen Zeit, schon
mehr als einmal gesehen hat.
Aber es wird noch besser, und Elijah Woods
sanft-intelligenter und sympathischer Frodo und Ian
McKellens herausragend humorvoll-weiser und brillant
gesprochener Gandalf treffen ihren schauspielerischen
Meister in Ian Holm, der als alternder Bilbo ein
unvergleichliches Kabinettstückchen zwischen Gier nach
dem Ring (der vor langer Zeit in Bilbos Hände geraten
ist) und Sehnen nach der weiten Welt abliefert. Fast
übersieht man vor lauter begeisternden Schauspielern
die liebevollen und detailreichen Kulissen, die feinsinnige
und akkurate Umsetzung und die leichtfüßigen
Anspielungen von und auf Tolkiens Werk sowie die
berauschenden Tricks.
Indes,
Frodo muß das Shire verlassen, um den Ring, der zu ihm
gekommen ist, in Sicherheit zu bringen, wobei er von drei
befreundeten Hobbits in Gestalt der zwar nicht
überwältigenden, aber durchaus soliden und
bisweilen sogar rührenden Schauspieler Sean Astin
(Sam), Billy Boyd (Pippin) und Dominic Monaghan (Merry)
begleitet wird. Schien es bisher, als wolle das Herz des
Zuschauers platzen wie der Bauch eines
überfütterten Hobbits dank so viel Shire-Idylle,
bleibt es jetzt angesichts der schwarzen Reiter Saurons
schier stehen. Die Nazgûl, vom Dunklen Herrscher
korrumpierte und zu Geistern gewordene ehemalige
Könige, sorgen nicht nur für die Auferstehung des
seit den letzten Westerntagen totgeglaubten
spektakulären Pferdestunts, sondern auch mit einfachen
Mitteln (Kutten, Schwertern und markerschütternden
Schreien) für einige der nachhaltigsten Schockeffekte
des modernen Kinos. Mit der Hilfe des Waldläufers
Aragorn (Viggo Mortensen kampf- und spielstark) können
die Hobbits vor den Reitern fliehen, aber erst Liv Tyler als
Arwen Undómiel schafft es, die Nazgûl
endgültig aus dem Film zu spülen.
Ja, Liv
Tyler: Aufruhr erhob sich im Fandom wie Feuer über dem
Schicksalsberg, als bekannt wurde, daß die Tochter des
Aerosmith-Frontmannes Steven Tyler (das Angelina
Jolie-Paradoxon: wie astralschön muß die Mutter
eigentlich aussehen, um das "Aussehen" des Vaters
wettzumachen?) - die trotz ihrer durchaus vorhandenen
Schauspielkünste den Fehler begangen hatte, in Michael
Bays Meteorpenetrationsopus Armageddon mitzumachen - Arwen spielen sollte, die schönste Unsterbliche seit
Lúthiens vergangenen Tagen. Der Aufruhr wurde
zur Eruption aus Lava und Haß, als weiter
durchsickerte, daß die im Buch kaum vorkommende
Elbenschöne im Film eine weitaus tragendere Rolle
übernehmen, ja sogar eigenhändig dem Bösen
gegenübertreten sollte: Arwen Warrior Princess.
Und was ist, am Ende, nun hinten rausgekommen? Eine
erstaunlich gelungene und spannende, zum Teil wunderbar
elbischsprachige und schließlich sogar sehr
romantische Darstellung, auf der von flirrendem Kitsch
umwölkten Brücke in Rivendell, natürlich.
Außer vorauseilendem Plärren nichts gewesen, oder: quamvis sint sub aqua, sub aqua maledicere
temptant.
Selbst
seltene pathetisch-übertriebene oder
zuckersüße Momente wie diesen mag man verzeihen,
wenn man nicht gänzlich voreingenommen ist; denn die
zwischen die Reise der Hobbits nach Rivendell geschnittenen
Szenen mit Ian McKellen und Christopher Lee als arrogantem
Zauberer Saruman gehören auch in einem
erinnerungswürdigen Film wie diesem zu den Perlen: die
rasanten Fahrten über Sarumans Feste Isengard und durch
das Innere seines Turmes Orthanc stellen einen weiteren
überwältigenden Triumph der beteiligten Modell-
und Computerkünstler dar. Aber mehr noch als anderswo
droht den Kulissenbauern hier jede Anerkennung versagt zu
bleiben: Christopher Lee als hochfahrender Meister des
Ordens der Istari (Zauberer) saugt alle Aufmerksamkeit mit
hypnotischem Spiel und beeindruckender Stimme so leicht auf
sich, als besäße letztere wirklich magische
Kräfte, und es fällt nur allzu schwer, sich von
dieser magnetischen Präsenz zu lösen, um dem Film
weiter zu folgen.
Doch es
muß natürlich weitergehen, und Elrond (Hugo
Weaving - der mit solchen Kleidungsstücken bereits
Erfahrung gesammelt hat - in einem bodenlangen Rock)
versammelt Vertreter aller Völker der Welt in seinem
Haus in Rivendell, um über das weitere Schicksal des
Rings zu entscheiden. Die Ringgemeinschaft entsteht, und
trotz der Überlänge von knapp drei Stunden
vermißt man hier ein wenig eine ausführlichere
Einführung des Zwerges Gimli, des Elben Legolas und des
Menschen Boromir, allein schon, weil man John Rhys-Davies,
Orlando Bloom und Sean Bean, die sich samt und sonders
allein, mit- und gegeneinander selbst übertreffen,
stundenlang zusehen könnte.
Der Ring
geht nach Süden, und habe ich bisher nicht die
unglaublichen Landschaftsaufnahmen erwähnt, so nicht,
weil sie schlecht wären, sondern weil soviel Anderes zu
loben war: die wundervollen Naturbilder bringen
die entrückte Traumschönheit Neuseelands mit
schneebedeckten Gipfeln in unmittelbarer Nachbarschaft
europäisch anmutender Mischwälder, kristallklarer
Seen und weiter, grüner Prärie so gut zur Geltung,
daß man nicht nur wünscht, die Kino- wäre
eine Flugkarte, sondern auch allen leblosen Studioaufnahmen
für immer entsagen will.
Aber es kommen, natürlich, die Minen von Moria und
lassen diesen hastigen Entschluß schnell vergessen:
unter den Nebelbergen, im Studio, brennen die Spezialisten von Weta ein
derartiges Effektefeuerwerk ab, daß es scheint, als
habe sich selbst der fürchterliche Balrog daran
entzündet. Zwischen sehr real, also recht hektisch
wirkenden, hautnahen, wuchtigen und packenden Kämpfen werden
Trolle, glühende Schwerter und Dämonen aus Feuer
und Schatten so wirklich eingebunden, daß man endlich
ebenso erschöpft wie die Kämpfer ist, wenn es aus
der Schwärze der Minen zur Erholung in die Wälder
Lothlóriens geht.
Nichts,
seufzt die speckige Baskenmütze des halbmainstreamigen
Cineasten, ist erholsamer, als Cate Blanchett in einem
weißen Nachthemd zu betrachten! Peter Jackson, der
Schelm, weiß das natürlich und zieht, wenn schon
nicht dem Cineasten, so doch der schauspielerisch wahrlich
begabten und tiefgehend attraktiven Cate Blanchett ein
weißes Kleid an und läßt sie die wunden
Kämpfer und den Zuschauer treulich umsorgen. Wieder
wünscht man, wie schon in Isengard, ewig hier bleiben
zu können (wobei die Wahl zwischen einem
machtbesessenen Istar ohne Nagelschere und einer
allweise-spitzohrigen Elbin nicht allzu schwer fällt),
aber natürlich muß es zum Ende gehen, und der
Anduin führt uns, an den riesigen Statuen des Argonath
vorbei, mit einem unheilschwangeren Blick zu Saurons grausamer Festung
Barad-dûr, zum letzten, rasant-klirrenden Kampf und
ins endlose Warten auf den zweiten Teil. Eine beruhigende
Weise Enyas begleitet den euphorisierten Zuschauer aus dem
Saal, läßt ihn aber, wie alle, mit der letzten
aller Fragen allein: wie will Peter Jackson dieses
berückend gespielte, verschwenderisch genau
ausgestattete, atemlos spannende und ehrlich
bewegende Meisterwerk noch übertreffen?
   1/2 von 5 Sternen.
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