Kritik:
Die Geschichte von
Vladimir Nabokovs wunderbarem Werk "Lolita" ist eine
Aneinanderreihung von Mißverständnissen,
Vorverurteilungen und Verteufelungen in schlimmster
amerikanischer Salem-Tradition. Angefangen vom jahrelangen
Publikationsverbot über Stanley Kubricks
kreuzbrav-humoristische Verfilmung bis zu den jüngsten
populärkulturellen Auswüchsen, die heimlich lüstern jede
jungmädchenhafte Koketterie mit Lolita-Gebaren
gleichsetzen, ist alles - meist (natürlich) auch noch
von Leuten, die das Buch nicht einmal im Leben gesehen haben
- getan worden, um das eine Wort Lolita zu
pervertieren, zu verdrehen und zu verstümmeln. Nach
fast fünfzig Jahren bleibt nur die traurige Erkenntnis,
daß das einzige Werk, welches dem Buch "Lolita"
wirklich gerecht wird, das Buch "Lolita" ist.
Auch der
sonst eher mit weniger problemträchtigen Themen
befaßte Regisseur Adrian Lyne liegt mit seiner
Verfilmung meilenweit daneben. Einmal abgesehen von der
weichzeichnerisch-schalen Kamera, dem lustlos
dahinplätschernden Soundtrack, den ideenlosen Sets und
den katastrophal schlechten erwachsenen Darstellern (Jeremy
Irons sieht mit seinem weidwunden Weltschmerzblick immer so
aus, als würde er gleich einschlafen, und Melanie
Griffiths Schönheitsoperationsnarben täuschen auch
nicht über ihre mangelnden mimischen Qualitäten
hinweg): Dominique Swain ist als Lolita so grauenhaft
fehlbesetzt, daß auch die halbwegs treu und ab und zu
sogar originell (Humberts Umkleideszene!) adaptierte Story nichts mehr nützt.
Neben ihren nicht vorhandenen Schauspielfähigkeiten ist
sie auch eindeutig zu alt für die Rolle, die klar ein
an der Schwelle zur Pubertät stehendes
zwölfjähriges Kind statt einer
fünfzehnjährigen Jugendlichen in zu kurzen
Kleidern fordert. In keinem Moment wirkt sie wie die
vulgäre, von Mädchenheften und "Freundinnen"
verdorbene, sich ihrer selbst nicht bewußte Lolita,
die sich, ohne sich der Konsequenzen je bewußt zu
sein, dem - welch ein Kontrast - feinsinnigen britischen
Gelehrten Humbert halb selbst hingibt, halb von ihm ins Bett
gezwungen wird. Stattdessen sieht sie nur wie eine gelangweilte Cheerleaderin mit der darstellerischen Präsenz eines Pappaufstellers aus.
So wirken
der eher einfältig dreinschauende Irons und die zu reife
Swain auch nicht wie eine zum Scheitern verdammte amour
fou, sondern nur wie ein normales Paar mit einem zu hohen
Altersunterschied. Dieser Eindruck wird noch verstärkt
durch die völlig unnötigen, im Buch wohlweislich
ausgelassenen Nacktszenen. Da Lyne wohl aus Angst vor den
selbsternannten Moralaposteln sowohl die seltenen, aber umso
graphischeren Dialoge zwischen Humbert und Lolita als auch
Humberts Phantasien weggelassen hat, versucht er sich mit
Körperpartien im Halbdunkel, bleibt auf halbem Weg
zwischen Mainstream-Anbiederung und Tabubruch stecken und
endet mit einer seltsam perversen, geradezu voyeuristischen
Vorführung des Körpers von Swains Bodydouble. Dazu
kommen noch allzu unsubtile Bananen- und Lollischleckszenen,
und schon hat Adrian Lyne Lolita ungewollt in den
Schmutz gezogen, in dem sie alle Gutmenschen schon
längst sehen. Ganz schwach, selbst für Lynes niedrigen Standard, und ein weiterer Schritt weg von Nabokovs Werk.
1/2 von 5 Sternen.
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