Kritik:
Synchronisation
versus Untertitel, der ewig blutige Glaubenskrieg
baskenmütziger Cineasten! Wenn der erschöpfte
Kämpfer im roten Morgen auf dem rhetorischen
Schlachtfeld steht, steigen mit dem Frühnebel
unvermeidlich die immer gleichen Fragen auf: wieso erlauben
sich Synchronübersetzer Änderungen, Verzerrungen
und Euphemisierungen, die bei Dolmetschern oder
Buchübersetzern zur sofortigen Entlassung führen
würden, wieso stören winzig kleine, sekundenkurz
am untersten Bildrand eingeblendete Buchstaben angeblich den
Filmgenuß, und wieso geht diese Debatte am zahlenden
Publikum ebenso vorbei wie alle anderen unentschuldbaren
Verstümmelungen, die Filme erleiden müssen, bevor
sie hierzulande gesehen werden können? O tempora, o
mores!
Auch bei
Amos Gitais Kadosh, in einem kleinen Programmkino
genossen, wimmelte der Zuschauerraum von Menschen, die,
offenbar in Erwartung einer hier völlig unsinnigen
Synchronisation, in helles Entsetzen ausbrachen, als die
ersten deutsch untertitelten hebräischen Wörter
erklangen, ganz so, als ob selbst das Lesen einzeiliger
Texte eine Zumutung wäre. Dabei halten sich die
Untertitel von Kadosh sehr angenehm zurück,
zählen nur bis vier, wenn die alte Elisheva bis
zwölf zählt, schreiben das stimmungsvolle Lied,
das der junge Yaakov singt, vor statt nach und wiederholen
bereits übersetzte Sätze und Formeln nicht
nochmal, den Zuschauer so bisweilen ganz in die
dicht-ergreifende Originalatmosphäre entlassend. Man
wünscht, auch Synchronisatoren hielten den Zuschauer
für so mündig. In Zeiten, in denen selbst
Schweizerisch synchronisiert wird, bleibt der fromme Wunsch
aber nicht mehr als ein pipe dream.
Amos Gitais
Träumen - holpernd-krückig hinkt die
Überleitung - entsprungen scheint auch so manche Szene
aus Kadosh, die gut in eine stereotype
Hollywood-Romanze passen könnte, wären da nicht
die außergewöhnlich attraktiven, talentierten und
präsenten Hauptdarstellerinnen Yaël Abecassis und
Meital Barda. Vor allem Meital Barda ist mit ihrem dunklen
Haar, ihrem hellen Teint und ihren anziehenden Augen auch in
der unförmigen Orthodoxenkluft und in allzu kuriosen
Dialogen geradezu hinreißend schön.
Entsprechend angenehm läßt sich Kadosh an,
wenn sich nach langen, ruhigen, mit akzentuierter Musik
unterlegten Einstellungen, in denen Abecassis' Filmmann
Meïr die vorgeschriebene Gebetskleidung anlegt und zur
Torahschule aufbricht, um dort zu lernen und zu beten,
langsam die Hauptkonflikte entfalten und die Darsteller
zeigen dürfen, was sie können. Als ihren Mann seit
zehn Jahren innig liebende, aber kinderlose Rivka harmoniert
Yaël Abecassis prächtig mit dem hervorragenden
Yoram Hattab und bringt diffuse Schuldgefühle, wahre
Liebe und den Konflikt zwischen Tradition und Moderne so
packend rüber wie Hattab den auf ihm lastenden Druck.
Gleichzeitig bereitet sich Rivkas Schwester Malka (Barda)
auf ihre arrangierte Hochzeit mit dem dicken und behaarten
Yossef (und hier fängt der Trüffelrüssel des
passionierten Kinogängers schon zu zucken an; langsam
steigen die in unzähligen Filmen gelernten Lektionen
über Dicke und Haarige aus dem Unterbewußten
hervor...) vor, obwohl sie den sensiblen Sänger Yaakov
liebt, der aber von der Gemeinde verstoßen wurde.
Malkas Rebellion beschränkt sich auf kecke Worte, und
letztlich fügt sie sich in einer akkurat umgesetzten
Hochzeitsszene, deren tiefere Nuancen der Rezensent aber
aufgrund schwerer Ablenkung durch Meital Bardas umwerfendes
Kleid und Makeup nicht erkennen konnte.
Auch ohne
Schminke ist die erste Hälfte des Films, in dem die
Charaktere und die strengen Regeln, Gebräuche und
Traditionen der Orthodoxen behutsam, langsam und ohne
verurteilenden Blick vorgestellt werden, äußerst
faszinierend - der die israelische Gesellschaft weiterhin
aufs Gefährlichste spaltende Konflikt zwischen
orthodoxen und säkularen Juden wird ebenso thematisiert
wie tiefe Liebe, soziale Ächtung, die Rolle der Frau
als bloße Gebärerin und Erzieherin und das bis in
intime Details definierte, als einschnürendes Korsett
empfundene Regelwerk des Alltags. Wieder wünscht man,
diesmal, daß alle Filme so einen nüchtern-unhektischen und gekonnten Blick auf die Dinge wagen und mit
so guten Schauspielern brillieren mögen.
Leider
folgt auf die tolle erste Hälfte eine schwache zweite,
und hier hat Amos Gitai entweder den Faden verloren oder
sich von zuvielen Telenovelas inspirieren lassen: Yossef
entpuppt sich nach der Hochzeit als eine weitere Nummer in
der langen Reihe der fetten und behaarten Filmfiguren,
Yaakov hat den erwartet leidenschaftlichen Kurzauftritt, und
Rivka verliert ihren Mann und die Sprache. Statt die
Konflikte wie am Anfang auszuloten, sorgfältig zu
zeigen und nachzubehandeln, beschränkt sich Gitai auf
das Abhaken grobseifig-undifferenzierter Clips, die in den
Jerusalemer Kulissen so grotesk wirken, als drehte man eine Folge von "Unter Uns" im Vatikan. Am Ende fängt
sich Kadosh zwar wieder, aber den Eindruck, daß
Amos Gitai für die zuvor in einer bewundernswert
atmosphärischen Inszenierung aufgebauten, tiefen
Probleme keine andere Lösung als die Flucht in
Klischees gefunden hat, wird man nicht mehr los. Als Tiger
gesprungen und zwar nicht als Bettvorleger, aber doch
als Hauskätzchen gelandet. Und das ganz ohne Siegfried
und Roy.
von
5 Sternen.
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