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Kadosh

-- Gute Zeiten, schlechte Zeiten? --

Szene aus Kadosh

Info über Kadosh (IL 1999)

Regie: Amos Gitai

Darsteller: Yaël Abecassis, Yoram Hattab, Meital Barda, Uri Ran-Klausner, Sami Hori, Lea Koenig

Inhalt: Der ultraorthodoxe Jude Meïr und seine Frau Rivka haben seit zehn Jahren keine Kinder und werden daher von ihrem Rabbi zur Scheidung gezwungen. Währenddessen muß Rivkas junge Schwester Malka gegen ihren Willen einen Mann heiraten, den sie nicht liebt.

Kritik: Synchronisation versus Untertitel, der ewig blutige Glaubenskrieg baskenmütziger Cineasten! Wenn der erschöpfte Kämpfer im roten Morgen auf dem rhetorischen Schlachtfeld steht, steigen mit dem Frühnebel unvermeidlich die immer gleichen Fragen auf: wieso erlauben sich Synchronübersetzer Änderungen, Verzerrungen und Euphemisierungen, die bei Dolmetschern oder Buchübersetzern zur sofortigen Entlassung führen würden, wieso stören winzig kleine, sekundenkurz am untersten Bildrand eingeblendete Buchstaben angeblich den Filmgenuß, und wieso geht diese Debatte am zahlenden Publikum ebenso vorbei wie alle anderen unentschuldbaren Verstümmelungen, die Filme erleiden müssen, bevor sie hierzulande gesehen werden können? O tempora, o mores!

Auch bei Amos Gitais Kadosh, in einem kleinen Programmkino genossen, wimmelte der Zuschauerraum von Menschen, die, offenbar in Erwartung einer hier völlig unsinnigen Synchronisation, in helles Entsetzen ausbrachen, als die ersten deutsch untertitelten hebräischen Wörter erklangen, ganz so, als ob selbst das Lesen einzeiliger Texte eine Zumutung wäre. Dabei halten sich die Untertitel von Kadosh sehr angenehm zurück, zählen nur bis vier, wenn die alte Elisheva bis zwölf zählt, schreiben das stimmungsvolle Lied, das der junge Yaakov singt, vor statt nach und wiederholen bereits übersetzte Sätze und Formeln nicht nochmal, den Zuschauer so bisweilen ganz in die dicht-ergreifende Originalatmosphäre entlassend. Man wünscht, auch Synchronisatoren hielten den Zuschauer für so mündig. In Zeiten, in denen selbst Schweizerisch synchronisiert wird, bleibt der fromme Wunsch aber nicht mehr als ein pipe dream.

Amos Gitais Träumen - holpernd-krückig hinkt die Überleitung - entsprungen scheint auch so manche Szene aus Kadosh, die gut in eine stereotype Hollywood-Romanze passen könnte, wären da nicht die außergewöhnlich attraktiven, talentierten und präsenten Hauptdarstellerinnen Yaël Abecassis und Meital Barda. Vor allem Meital Barda ist mit ihrem dunklen Haar, ihrem hellen Teint und ihren anziehenden Augen auch in der unförmigen Orthodoxenkluft und in allzu kuriosen Dialogen geradezu hinreißend schön.
Entsprechend angenehm läßt sich Kadosh an, wenn sich nach langen, ruhigen, mit akzentuierter Musik unterlegten Einstellungen, in denen Abecassis' Filmmann Meïr die vorgeschriebene Gebetskleidung anlegt und zur Torahschule aufbricht, um dort zu lernen und zu beten, langsam die Hauptkonflikte entfalten und die Darsteller zeigen dürfen, was sie können. Als ihren Mann seit zehn Jahren innig liebende, aber kinderlose Rivka harmoniert Yaël Abecassis prächtig mit dem hervorragenden Yoram Hattab und bringt diffuse Schuldgefühle, wahre Liebe und den Konflikt zwischen Tradition und Moderne so packend rüber wie Hattab den auf ihm lastenden Druck. Gleichzeitig bereitet sich Rivkas Schwester Malka (Barda) auf ihre arrangierte Hochzeit mit dem dicken und behaarten Yossef (und hier fängt der Trüffelrüssel des passionierten Kinogängers schon zu zucken an; langsam steigen die in unzähligen Filmen gelernten Lektionen über Dicke und Haarige aus dem Unterbewußten hervor...) vor, obwohl sie den sensiblen Sänger Yaakov liebt, der aber von der Gemeinde verstoßen wurde. Malkas Rebellion beschränkt sich auf kecke Worte, und letztlich fügt sie sich in einer akkurat umgesetzten Hochzeitsszene, deren tiefere Nuancen der Rezensent aber aufgrund schwerer Ablenkung durch Meital Bardas umwerfendes Kleid und Makeup nicht erkennen konnte.

Auch ohne Schminke ist die erste Hälfte des Films, in dem die Charaktere und die strengen Regeln, Gebräuche und Traditionen der Orthodoxen behutsam, langsam und ohne verurteilenden Blick vorgestellt werden, äußerst faszinierend - der die israelische Gesellschaft weiterhin aufs Gefährlichste spaltende Konflikt zwischen orthodoxen und säkularen Juden wird ebenso thematisiert wie tiefe Liebe, soziale Ächtung, die Rolle der Frau als bloße Gebärerin und Erzieherin und das bis in intime Details definierte, als einschnürendes Korsett empfundene Regelwerk des Alltags. Wieder wünscht man, diesmal, daß alle Filme so einen nüchtern-unhektischen und gekonnten Blick auf die Dinge wagen und mit so guten Schauspielern brillieren mögen.

Leider folgt auf die tolle erste Hälfte eine schwache zweite, und hier hat Amos Gitai entweder den Faden verloren oder sich von zuvielen Telenovelas inspirieren lassen: Yossef entpuppt sich nach der Hochzeit als eine weitere Nummer in der langen Reihe der fetten und behaarten Filmfiguren, Yaakov hat den erwartet leidenschaftlichen Kurzauftritt, und Rivka verliert ihren Mann und die Sprache. Statt die Konflikte wie am Anfang auszuloten, sorgfältig zu zeigen und nachzubehandeln, beschränkt sich Gitai auf das Abhaken grobseifig-undifferenzierter Clips, die in den Jerusalemer Kulissen so grotesk wirken, als drehte man eine Folge von "Unter Uns" im Vatikan. Am Ende fängt sich Kadosh zwar wieder, aber den Eindruck, daß Amos Gitai für die zuvor in einer bewundernswert atmosphärischen Inszenierung aufgebauten, tiefen Probleme keine andere Lösung als die Flucht in Klischees gefunden hat, wird man nicht mehr los. Als Tiger gesprungen und zwar nicht als Bettvorleger, aber doch als Hauskätzchen gelandet. Und das ganz ohne Siegfried und Roy.

***von 5 Sternen.

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