Kritik:
Mancher Leser wird
sich wundern, auf welchen verschlungenen Wegen ich dazu
gekommen bin, mir ausgerechnet auf einem Frauensender einen
solchen Frauenfilm wie Jude anzusehen, noch dazu mit
so einem (allerdings aus
mißverständnisvermeidend-verständlichen
Gründen: einen Film in Deutschland Jude zu
nennen, kann zu Verwirrung führen...) seifigen
deutschen Titel wie "Herzen in Aufruhr".
Passionierte Internetsurfer ohne Cybernanny aber werden
wissend schmunzeln.
Jude
nämlich präsentiert sich recht freizügig. Das
ist nur solange irritierend, bis man bemerkt, daß man
es nicht mit einem Machwerk aus dem prüden Amerika zu
tun hat, sondern mit einem kleinen Kunstwerk aus
Großbritannien, wo man noch gute Filme zu machen
versteht. Full frontal nudity, blutige
Gebärszenen und blanke Brüste kommen in diesem
Film mit einer unverkrampften Natürlichkeit daher, die
man in Hollywoods Ausgeburten schon lange vermisst. Neben
dem unbestrittenen voyeuristischen Aspekt wird so auch dem
Realismus Genüge getan - endlich mal zieht eine Frau
nach dem Sex nicht die Bettdecke bis zum Kinn
hoch!
Auch sonst
ist Jude prima gelungen: die gut getimte Kamera fängt
gekonnt die schön ausgestatteten Schauplätze mit
ihrem authentischen 19. Jahrhundert-Flair ein und erzeugt
mit der liebevoll komponierten Musik ein klares Bild des
rauhen englischen Landes, wo die Farben sich entweder scharf
von den grünen Wiesen abheben oder im Dauerregen
verschwimmen. Mittendrin: Christopher Eccleston als
Steinmetz mit Griechisch- und Lateinkenntnissen, der zuerst
wider Willen ein Mädchen vom Lande heiratet und sie
dann verläßt, um in die Universitätsstadt
zu ziehen. Dort begegnet er - und Christopher Eccleston ist
ein durchweg glaubhaft ehrgeiziger und zielstrebiger Jude -
seiner Kusine Sue, verliebt sich in sie und verschafft ihr
eine Stelle bei seinem alten Lehrer. Sue heiratet den
Lehrer, aber Jude steigt ihr immer wieder nach, bis er sie
für sich gewonnen hat, während er zwischendurch noch ein paarmal seiner Ex-Frau begegnet. Das ist an sich kein besonders
weltbewegend-origineller Plot, aber mit der genauen
Ausstattung, den spielfreudigen Schauspielern und den
wiederkehrenden Motiven wie Judes Rückzug zu seiner
Tante wird Jude doch genießbar. Dazu trägt
vor allem Kate Winslet bei, die hier noch vor ihrem
Titanic-Erfolg beweist, daß sie zu einer der
besten jungen Schauspielerinnen Englands gehört: mit
unglaublicher Energie, unbändigem Charme und
umwerfendem Talent bringt sie Sue Bridehead zum Leben, ein
ihrer Zeit vorauseilendes, willensstarkes und
intelligentes Mädchen mit einem Hang zu Zigaretten
und Rebellion. So werden auch die Szenen nach Judes und Sues
endlicher Zusammenkunft zu einem hochemotionalen
Drama: weil das junge Paar Kinder hat, aber nicht
verheiratet ist, werden sie gesellschaftlich geächtet,
was schließlich zur Katastrophe führt. Diese ist
zwar leicht unglaubwürdig, bringt aber den Film zu
einem traurigen Ende. Auch das überrascht in Zeiten
seichtester Happy-End-Dramolette, und so bleibt am Ende der
Eindruck eines verblüffend authentischen, engagiert
gespielten und bewegenden Liebesdramas. Frauen werden es
lieben.
   von
5 Sternen.
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