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Iris

-- Mehr Meer! --

Szene aus Iris

Info über Iris (GB 2001)

Regie: Richard Eyre

Darsteller: Judi Dench, Kate Winslet, Jim Broadbent, Hugh Bonneville, Penelope Wilton, Samuel West

Inhalt: Das Leben der Schriftstellerin Iris Murdoch.

Kritik: Wieder einmal, ach, ist es Sommer geworden, und wortreich muß jeder Autor zwischen Flensburg und Garmisch, selbst der nichtswürdige Verfasser dieser Zeilen, leiden an seinem Land, der drückenden Hitze, den erdrückenden Menschenmengen und dem bedrückenden Zustand der Welt allgemein. Ganz wie ein kleiner Martin Walser, ohne sich jedoch dessen ehrfurchtgebietend buschige Augenbrauen und rabulistische Finessen anmaßen zu wollen: wer in der Sprache Goethes und Dieter Bohlens schreibt, muß, um etwas zu gelten, allzeit eloquent jammern, larmoyant wimmern und überzeugend plärren können, über sich, sein Volk, seine Sprache, seine Arthritis, was ihn endlich in den Olymp heben wird, hin zu den anderen berühmten Heulsusen - Deutscher ist, wer gern keiner wäre.

Zur Verteidigung Schillers, Heines und Thomas Anders' sei jedoch gesagt, daß zwischen Weißwurst- und Heilbuttäquator, zumal in den heißen Monaten, brummelnder Bocksgesang bedeutend leichter fällt als seraphisches Jubilieren: walzengleiche Säulen von Beinen in der Farbe verwaschenen Marmors münden in weiße, geriffelte Sportsocken, die in zerlaufenen Gesundheitssandalen stecken; als Kapitelle zu kurze Freizeithosen in allen Fehlfarben des Spektrums oder Röcke, zu lang, zu kurz, zu weit, zu eng, zu verspielt, zu ernst, zu verrucht oder zu bieder; zuviel Haar, Fett und Schweiß; zuwenig Deodorant, Stil und Eleganz. Es ist ein beständiger Graus, und mit Tränen in den Augen flüchtet der Autor ins Lichtspielhaus, auf den Lippen das Lieblingswort aller aufrechten Germanen (nach einem hier ungenannten Fäkalwort): Ach!

England also, kühler Frühling wahrscheinlich, erfrischender Regen sicher, und Kate Winslet als junge Schriftstellerin Iris Murdoch schwimmt schon in der allerersten Szene splitternackt in Großaufnahme durchs Bild, als wäre Richard Eyres Film ein heimtückischer Anschlag auf die bekannt objektive Unbestechlichkeit des untertänigen Autors dieser Kritiken. Sicher, die vermaledeite Entdeckung Isaac Newtons tut auch hier ihr unerbittliches Werk, und mancher Schwangerschaftsstreifen ist noch nicht ganz wieder zu einem geworden, aber dennoch läßt Winslets unbekümmerte Natürlichkeit und faszinierende Ausstrahlung (im Gegensatz zu Angelina Jolie sind damit nicht famose Brüste gemeint) auch diesen Auftritt weit besser gelingen als jede artifizielle Liebesszene in einem beliebigen Stechpalmenfilm.
Mit Winslet schwimmt, fast nackt, Hugh Bonneville als junger, hervorragend linkischer und ganz und gar lebensuntüchtiger Supergeek John Bayley, der sich in die lebenslustige Schriftstellerin verliebt hat und sie unglaublicherweise sogar für sich gewinnt. Zwischen die Dialoge der beiden jüngeren Akteure blendet der Regisseur in manchmal anstrengender Duplizität Szenen mit dem ältlichen Ehepaar Bayley/Murdoch, das von Jim Broadbent und Judi Dench glänzend dargestellt wird. Dazu spielt ein unauffälliger Soundtrack James Horners, der seinen geliebten Dudelsack für Iris ausnahms- und dankenswerterweise zu Hause gelassen hat, und Roger Pratts Kamera sorgt für zweckmäßig-unspektakuläre Bilder.

Das Leben des eingespielten Paares ändert sich abrupt, als die wortgewandte Iris an Alzheimer erkrankt und fortan verwirrte und gefährliche Ausflüge unternimmt, die Namen alter - im wahrsten Sinne des Wortes, um mal wieder einen sexistischen Kalauer anzubringen - Busenfreunde vergißt und sogar ab und zu die "Teletubbies" ansieht. Die gemeinsame Wohnung verfällt zusehends unter den Händen des täppischen und hilflosen John, der sich in vielen Rückblenden fragt, warum er Iris' mehrgeschlechtliche Promiskuität so lange toleriert hat. So nahegehend die brillante Judi Dench und der hervorragende Jim Broadbent den ungewohnten und frustrierenden Rollentausch darstellen, so gekonnt Kate Winslet und Hugh Bonneville sie als jüngere, spritzigere alter egos ergänzen, und so subtil Eyre das wechselvolle Leben seiner Hauptfigur in manchen Szenen porträtiert, so muß man sich auch fragen, warum der Regisseur der seltsamen Ehe Murdochs und Bayleys - gezeichnet nach der Romanvorlage Bayleys selbst - nicht tiefer auf den Grund geht: was bewegt die quirlige, erfolgreiche und durchaus anziehende Schriftstellerin, einen ihr in allen Belangen unterlegenen, weder besonders reichen noch sehr attraktiven Bücherwurm zu heiraten? Will sie ihre intellektuelle und physische Dominanz, die Kate Winslet wunderbar ausspielt, auf alle Zeiten zementieren? Sich einen Mann nehmen, dem gegenüber sie keinem wie auch immer gearteten Erwartungsdruck genügen muß, weil er nicht in der Position ist, Ansprüche zu stellen? Sich sicher sein, daß er - auch aus Mangel an Gelegenheiten - treu bleibt, während sie Abenteuer erlebt? Mithin also mit zweierlei Maß messen?

Und ist es wirklich nur Übertoleranz, die Bayley dazu bringt, seiner Frau alle ihre Eskapaden bis zuletzt (fast) zu verzeihen? Oder Angst, sie zu verlieren? Panisches Klammern? Leider schneidet Richard Eyre diese interessanten Fragen - vielleicht ist das auch der Vorlage zu schulden - bis auf eine oder zwei Szenen höchstens am Rande an, widmet sich stattdessen hauptsächlich Murdochs Erkrankung und versäumt so die filmisch mehr als seltene Gelegenheit, eine komplexe Beziehung zwischen einer starken Frau und einem blassen Mann tiefer zu erforschen. Ein berückend gespielter, streckenweise liebevoll detailreich ausgestatteter, angenehm unprätentiöser und insgesamt guter Film bleibt Iris dennoch, nur manchmal mit den Akzenten an den falschen Stellen - gleich einem französischen Ästheten, dem beim Anblick einer unserer bundesrepublikanischen Fußgängerzonen im Juli vor Schreck alle schönen Circonflexe, Aigus und Graves im Namen durcheinanderfallen. Ach!

***1/2 von 5 Sternen.

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