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Die innere Sicherheit

-- Warum können nicht alle deutschen Filme so gut sein? --

Szene aus Die innere Sicherheit

Info über Die innere Sicherheit (D 2000)

Regie: Christian Petzold

Darsteller: Julia Hummer, Barbara Auer, Richy Müller, Bilge Bingül, Günther Maria Halmer, Katharina Schüttler

Inhalt: Die Erlebnisse eines Ex-Terroristenehepaares und ihrer pubertierenden Tochter.

Kritik: In gewissen Kreisen gehört es fast schon zum guten Ton, ungehemmt auf den deutschen Film zu schimpfen, ihn und seine Protagonisten als Dilettanten, Hirntote und unerträgliche Nervensägen zu verdammen. Auch ich falle diesem Laster regelmäßig zum Opfer, was bei einem nicht unerheblichen Teil der deutschen Filmproduktionen selbst bei wohlwollendster Betrachtungsweise unumgänglich scheint - wenn neun Zehntel der Filme "spritzige" Teenagerkomödien und "gehaltvolle" Beziehungsfilme sein wollen und doch nur peinliche Bravo-Witze oder todlangweilige und lebensferne Petra-Fortsetzungsgeschichten sind, kann zumindest ich nur noch schreien.

Dabei gibt es, Gott sei's gedankt, unter all der Zelluloidverschwendung dennoch immer mal wieder echte Perlen wie Die innere Sicherheit, die mit Leichtigkeit den Großteil von Hollywoods Ausgeburten in die Tasche stecken. Daß diese Schmuckstücke trotz ihrer Qualität kein Publikum finden, ist dabei noch niederschmetternder als der x-te Erfolg des y-ten Otto-Waalkes-Streifens, aber die Welt bleibt ihrer Ungerechtigkeit eben weiterhin treu.
Damit wären wir, wacklige Überleitungen sind des Elektrikers und des Autors Freude, auch schon bei Christian Petzolds erstaunlichem Film über die Nöte einer Terroristenkleinfamilie: an der Küste Portugals, an der sich unsanft der rauhe Atlantik bricht, bestellt sich Jeanne (Julia Hummer), breites Becken, Watschelgang, ungewöhnliches, aber ausdrucksstarkes Gesicht, eine Cola, setzt sich an einen Touristentisch mit einem Plastikstuhl und zündet sich eine Zigarette an, und in der Art, wie sie zaghaft, unsicher und zitternd raucht, offenbart sich ihre ganze Zerrüttung und Julia Hummers großes Schauspieltalent. Sie lernt einen Jungen kennen, von Bilge Bingül bis in die Nebensätze ungemein realistisch als Einwandererkind der dritten Generation gegeben, aber ehe sie ihn, einen proletarischen Nachwuchsmünchhausen, näher kennenlernen kann, wird sie von ihren Eltern abberufen.

Diese sind Ex-Verbrecher, nie wird klar, was ihnen zur Last gelegt wird, und seit Jahren auf der Flucht vor den deutschen Behörden. Richy Müller und Barbara Auer, vor allem aus dem Fernsehen bekannt, machen ihre Arbeit als ständig vor Vergangenheit und Gegenwart flüchtendes und mit den Jahren paranoid gewordenes und bis in die kleinsten Gesten zermürbtes Paar so gut, daß man nur staunen und mit ihnen fühlen kann, als sie und ihre Tochter Portugal verlassen und wieder nach Deutschland zurückkehren müssen.
Dieses Deutschland ist, ganz im Gegensatz zu den auf Hochglanz polierten Starvehikeln aus unseren Landen, ein karges Land gelbgrüner Felder, muffiger Fußgängerzonen, billiger Motels und grauer Autobahnbrücken, ironisch symbolisiert durch den ausnehmend häßlichen gelben Pullover, den Vater Hans seiner Tochter an einer Tankstelle kauft. Hier treffen die Eltern alte Freunde, aber längst ist die Zeit fortgeschritten, und so wirkt des Vaters Vorwurf, sein Freund lasse sich seinen Wohlstand vom Staat bezahlen, wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten.

In der heutigen Zeit möchte Jeanne leben, und ihre Eltern können ihre Sehnsucht nach schicken Kleidern ebensowenig befriedigen wie ihre Sehnsucht nach einer normalen Beziehung mit dem in Deutschland wiedergetroffenen Jungen, da beides die Familie gefährdet. So ist Jeanne, und sowohl die karge Kamera Hans Fromms als auch die treffenden Dialoge und die sparsame Inszenierung machen das meisterhaft deutlich, hin- und hergerissen zwischen der Loyalität zu ihren Eltern, den einzigen Bezugspersonen, die sie jemals hatte, und dem Wunsch nach einem "normalen" Leben, der sie sogar dazu bringt, sich in eine Schulklasse zu schmuggeln, für die gerade ein Holocaust-Film gezeigt wird, Nuit et brouillard von Alain Resnais. Die ausführlichen Ausschnitte aus diesem Film über die Greuel des "Tausendjährigen Reiches", einen der erschütterndsten und schonungslosesten seiner Art, kann man als eine der wenigen politischen Aussagen in Die innere Sicherheit auffassen, als einen Wegweiser zu den Gründen, die Jeannes Eltern dazu führten, sich vom Staat abzuwenden; Genaues aber erfährt man, wie bereits erwähnt, nicht.

Jeannes Entscheidung für eine der beiden Lebensarten schließlich bringt den Film zu einem halboffenen Ende, in dem sich die verknoteten und verfahrenen Gedankenwege, die lähmende Verfolgungsangst und die dauernde, mürbe machende Unsicherheit der Familie, die in der Welt nur noch sich selbst und ihren Kombikokon hat, in einem bezaubernd überraschten und erwartungsvollen Lächeln Julia Hummers auflösen. Wie es dazu in diesem nicht ganz politischen, aber sehr eindringlichen Psychodrama aus spezifisch deutschen Landen kommt, muß man allerdings selbst gesehen haben, alleine schon, um "Filmen" wie Marlene ein für allemal das Wasser abzugraben.

****1/2 von 5 Sternen.

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