Kritik:
In gewissen
Kreisen gehört es fast schon zum guten Ton, ungehemmt
auf den deutschen Film zu schimpfen, ihn und seine
Protagonisten als Dilettanten, Hirntote und
unerträgliche Nervensägen zu verdammen. Auch ich
falle diesem Laster regelmäßig zum Opfer, was bei
einem nicht unerheblichen Teil der deutschen
Filmproduktionen selbst bei wohlwollendster
Betrachtungsweise unumgänglich scheint - wenn neun
Zehntel der Filme "spritzige" Teenagerkomödien und
"gehaltvolle" Beziehungsfilme sein wollen und
doch nur peinliche Bravo-Witze oder todlangweilige und
lebensferne Petra-Fortsetzungsgeschichten sind, kann
zumindest ich nur noch schreien.
Dabei gibt
es, Gott sei's gedankt, unter all der Zelluloidverschwendung
dennoch immer mal wieder echte Perlen wie Die innere
Sicherheit, die mit Leichtigkeit den Großteil von
Hollywoods Ausgeburten in die Tasche stecken. Daß
diese Schmuckstücke trotz ihrer Qualität kein
Publikum finden, ist dabei noch niederschmetternder als der
x-te Erfolg des y-ten Otto-Waalkes-Streifens, aber die
Welt bleibt ihrer Ungerechtigkeit eben weiterhin treu.
Damit wären wir, wacklige Überleitungen sind des
Elektrikers und des Autors Freude, auch schon bei Christian
Petzolds erstaunlichem Film über die Nöte einer
Terroristenkleinfamilie: an der Küste Portugals, an der
sich unsanft der rauhe Atlantik bricht,
bestellt sich Jeanne (Julia Hummer), breites Becken,
Watschelgang, ungewöhnliches, aber ausdrucksstarkes
Gesicht, eine Cola, setzt sich an einen Touristentisch mit
einem Plastikstuhl und zündet sich eine Zigarette an,
und in der Art, wie sie zaghaft, unsicher und zitternd
raucht, offenbart sich ihre ganze Zerrüttung und Julia
Hummers großes Schauspieltalent. Sie lernt einen
Jungen kennen, von Bilge Bingül bis in die
Nebensätze ungemein realistisch als Einwandererkind der
dritten Generation gegeben, aber ehe sie ihn, einen
proletarischen Nachwuchsmünchhausen, näher
kennenlernen kann, wird sie von ihren Eltern
abberufen.
Diese sind
Ex-Verbrecher, nie wird klar, was ihnen zur Last gelegt
wird, und seit Jahren auf der Flucht vor den deutschen
Behörden. Richy Müller und Barbara Auer, vor allem
aus dem Fernsehen bekannt, machen ihre Arbeit als
ständig vor Vergangenheit und Gegenwart
flüchtendes und mit den Jahren paranoid gewordenes und
bis in die kleinsten Gesten zermürbtes Paar so gut,
daß man nur staunen und mit ihnen fühlen kann,
als sie und ihre Tochter Portugal verlassen und wieder nach
Deutschland zurückkehren müssen.
Dieses Deutschland ist, ganz im Gegensatz zu den auf
Hochglanz polierten Starvehikeln aus unseren Landen, ein
karges Land gelbgrüner Felder, muffiger
Fußgängerzonen, billiger Motels und grauer
Autobahnbrücken, ironisch symbolisiert durch den
ausnehmend häßlichen gelben Pullover, den Vater
Hans seiner Tochter an einer Tankstelle kauft. Hier treffen
die Eltern alte Freunde, aber längst ist die Zeit
fortgeschritten, und so wirkt des Vaters Vorwurf, sein
Freund lasse sich seinen Wohlstand vom Staat bezahlen, wie
ein Relikt aus vergangenen Zeiten.
In der
heutigen Zeit möchte Jeanne leben, und ihre Eltern
können ihre Sehnsucht nach schicken Kleidern
ebensowenig befriedigen wie ihre Sehnsucht nach einer
normalen Beziehung mit dem in Deutschland wiedergetroffenen
Jungen, da beides die Familie gefährdet. So ist Jeanne,
und sowohl die karge Kamera Hans Fromms als auch die
treffenden Dialoge und die sparsame Inszenierung machen das
meisterhaft deutlich, hin- und hergerissen zwischen der
Loyalität zu ihren Eltern, den einzigen Bezugspersonen,
die sie jemals hatte, und dem Wunsch nach einem "normalen"
Leben, der sie sogar dazu bringt, sich in eine Schulklasse
zu schmuggeln, für die gerade ein Holocaust-Film
gezeigt wird, Nuit et brouillard von Alain Resnais. Die ausführlichen Ausschnitte aus diesem
Film über die Greuel des "Tausendjährigen
Reiches", einen der erschütterndsten und
schonungslosesten seiner Art, kann man als eine der wenigen
politischen Aussagen in Die innere Sicherheit
auffassen, als einen Wegweiser zu den Gründen, die
Jeannes Eltern dazu führten, sich vom Staat abzuwenden;
Genaues aber erfährt man, wie bereits erwähnt, nicht.
Jeannes
Entscheidung für eine der beiden Lebensarten
schließlich bringt den Film zu einem halboffenen Ende,
in dem sich die verknoteten und verfahrenen Gedankenwege,
die lähmende Verfolgungsangst und die dauernde,
mürbe machende Unsicherheit der Familie, die in der Welt nur noch sich selbst und ihren Kombikokon hat, in einem
bezaubernd überraschten und erwartungsvollen
Lächeln Julia Hummers auflösen. Wie es dazu in
diesem nicht ganz politischen, aber sehr eindringlichen
Psychodrama aus spezifisch deutschen Landen kommt, muß
man allerdings selbst gesehen haben, alleine schon, um
"Filmen" wie Marlene ein für allemal das
Wasser abzugraben.
   1/2 von
5 Sternen.
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