Kritik:
Ach ja, es gibt
keine Filmkultur mehr. Endlich fand ich die Zeit, mir am
frühen Nachmittag Gladiator im nahegelegenen
Multiplex anzusehen. Wenig Publikum, guter Sound, nette
Trailer, und vom Film wird noch zu sprechen sein. Dann der
Abspann, alle verlassen den Saal, nur ich bleibe sitzen. Als
- mancher Leser (Leser?) wird es bereits bemerkt haben -
passionierter und häufiger Kinogänger versuche ich
immer, den ganzen Abspann anzusehen. Einerseits aus Protest,
um einen Kontrapunkt zum Fernsehen zu bilden, das
längst alles, was nach Credits aussieht, gnadenlos
wegschneidet, andererseits, um langsam aus der Stimmung des
Films wieder in die Wirklichkeit zurückzukehren und
dabei das Gesehene und Geschehene noch einmal Revue
passieren zu lassen und innerlich zu verarbeiten. Zudem gibt
der Abspann Auskunft über die Zuordnung von
Schauspielern zu Rollen, die Techniker, die F/X-Firma, die
Drehorte, die Musikstücke und vieles mehr und belohnt
manchmal sogar durch Gimmicks oder Sprüche ganz am
Ende. Schön.
Weniger
schön sind die beim Einsetzen des Abspanns
lemminggleich flüchtenden, schnellebigen anderen
Zuschauer, die zuerst den Blick auf die Leinwand versperren
und mich dann wie am Pranger allein im riesigen Saal sitzen
lassen - wenn mich nicht schon längst ungeduldig am
Ärmel zerrende sogenannte Freunde herausgeschleift
haben. Wenn ich es dann doch mal wie bei Gladiator
schaffe, sitzenzubleiben, kommt garantiert eine schnatternde
Putzkolonne hereingeschneit, oder übereifrige
Concierges kommen und gehen in Intervallen von fünf
Sekunden, stumm "Hau schon ab, Doofkopp!" signalisierend. So
auch diesmal: eine dienstbeflissene Angestellte schaut
herein, prüft, ob das Kino leer ist, bemerkt, daß
ich noch sitze, verläßt den Saal, kommt wieder,
guckt nochmal, nur grimmiger, geht wieder, kommt
erzürnt nochmal, guckt noch grimmiger und immer so
weiter... Am Ende verpufft das Dreamworks-Logo, der Vorhang
schließt sich, und mit einem Lächeln schreite ich
stolz am Schweppes-Gesicht der um acht Minuten ihres
Feierabends gebrachten Kinohosteß vorbei. Das Leben
ist doch schön.
Aber
zwischendurch habe ich auch noch einen Film gesehen - Ridley
Scotts Gladiator, die angebliche Wiedergeburt des
Sandalenfilms mit modernen Mitteln. Mittendrin ein
überraschend bewegender, agiler, muskulöser und
nuancierter Russell Crowe als betrogener Tribun, der
schön gefilmt von den heimischen Getreidefeldern und
vom Jenseits träumt. In Germanien besiegt er die
klischeehaften, bärtigen Barbaren, es kracht und
spritzt gewaltig, Armeen prallen aufeinander, Wälder
brennen und Speere fliegen. Die Kämpfe und später
die Arenaszenen leiden dabei ziemlich an einer durch die
äußerst seltsame Drehtechnik ausgelösten
Konfusion - wie im Zeitraffer, oder als ob jedes zweite Bild
fehlen würde, ruckeln die Bilder zuckelig dahin. Dazu
werden dringend zum Verständnis benötigte
Übergänge weggelassen, so daß bald selbst
der MTV-gestählteste Clipjunkie nicht mehr weiß,
wessen Schwert nun wessen Leib durchbohrt. Die fehlende oder
wirre Choreographie tut ein Übriges, und am Ende hat
man nicht begriffen, wie Maximus der drohenden Exekution
entkommen konnte. Daß solche Anfängerfehler
gerade Ridley Scott, dem Alien- und Blade
Runner-Altmeister passieren müssen, gibt doch zu
denken. Dabei werden immerhin die Schlächtereien im
ganzen folgenden Film zwar brutal, aber dennoch dezent und
nicht voyeuristisch, vom Ekel fasziniert oder unnötig
splatterig gezeigt und heben sich so wohltuend von
Metzeleien ab, die nur des Blutes willen überhaupt
gedreht wurden.
Maximus
also entflieht der Exekution, findet seine Familie ermordet vor,
wird zum Sklaven und dann zum Gladiator. Er trifft auf den
deutschen Muskelprotz Ralph Möller, der, weil 100 Prozent übereinstimmend, die Idealbesetzung für den tumben
nordischen Haudrauf mit dem bezeichnenden Namen
"Hagen" darstellt. Er freundet sich mit dem aus
Amistad bekannten Djimon Hounsou an, der - wir sind in
Hollywood - wieder als muskulöser schwarzer Sklave
besetzt wird, weil er zufällig so aussieht, wie sich
die Produzenten einen schwarzen Sklaven vorstellen. In nett gefilmten, recht atmosphärisch vom
Jubel des Pöbels und vielen Ausstattungsdetails
umrahmten und passabel, aber nicht umwerfend von Hans Zimmer
vertonten Action- und Massenszenen schlägt er sich in
wirren Bildern - siehe oben - in der Arena und wird alsbald
nach Rom, das caput mundi berufen.
Dieses Rom
aus dem Computer ist eine Art Mischung aus Albert Speers
monströs monumentaler geplanter Welthauptstadt
Germania, Batmans verwinkeltem Gotham und dem Coruscant des
Imperators. Eingeführt wird es mit einer
blaugefärbten 1:1-Riefenstahl-Kopie, die etwas unsubtil
wohl die faschistische Grundhaltung des von Joaquin Phoenix
ordentlich, aber nicht ganz historisch korrekt und nicht
besonders glaubwürdig verrückt verkörperten
Imperators Commodus symbolisieren soll. Die Effekte sind
dabei manchmal ganz gelungen - sogar der während den
Dreharbeiten verstorbene Alkoholiker Oliver Reed wird in
manchen Szenen unmerklich durch eine Computercollage
ersetzt -, wirken aber manchmal seltsam unausgegoren greenscreenig.
Maximus nun
ist in Rom, gewinnt ein paar Kämpfe und konspiriert mit
der von Connie Nielsen - gesehen in The Devil's
Advocate - eher farblos gespielten Schwester des
Imperators. Die Dialoge und intimen Szenen schwächeln
generell ein wenig ob der häufigen "Wir liebten uns
einst blablabla"- oder "Mein Vater liebte mich nicht
blablabla"- oder "Wir kämpfen für Rom
blablabla"-Klischees, die von allzu oft als dramatisches
Mittel eingesetzten bebenden Kiefern und Lippen flankiert
werden, so daß man sich fast an Neve Campbell erinnert
fühlt. Die Story geht dennoch routiniert getimt 150
Minuten lang vorwärts - können die Regisseure keine
kurzen Filme mehr drehen? - und wird nur am Ende etwas
langatmig, als mit dem erwarteten Tod einiger Hauptfiguren
der Spannungszenit erreicht wird und der Film dennoch
weitergeht. An "Ehre und Stärke"-Klingonenpathos fehlt
es auch nicht, jedoch bewahrt Ridley Scott im Gegensatz zu
"Regisseuren" wie Emmerich das rechte Maß, so
daß die heldenhaften Sprüche nicht allzusehr
stören.
Am Ende,
wenn nur noch der Staub in der Arena steht, fragt man sich
also, wieso Scott die Actionszenen durch sein Cut-Gehacke
zerstört, wieso die Dialoge trotz einiger
Skriptdoktoren wie aus der Schablone wirken, wieso die
opulenten Dekors, die passabel spannende Story und die
überdurchschnittlichen Schauspieler nicht mehr
reißen, oder wieso die Blut- und Sensationsgier des
römischen Volkes nicht mehr betont wird, die sich von
der unsrigen in nichts unterscheidet. Warum, wenn nicht
wegen der Kämpfe, sollten die Leute sonst in Filme wie
Gladiator rennen? Aber die macht - siehe oben - der
gute Ridley ja kaputt. Da hilft selbst der längste
Abspann nichts.
  von
5 Sternen.
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