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Gangs of New York

-- Etwas blutiger bitte --

Szene aus Gangs of New York

Info über Gangs of New York (USA 2002)

Regie: Martin Scorsese

Darsteller: Daniel Day-Lewis, Leonardo DiCaprio, Cameron Diaz, Jim Broadbent, John C. Reilly, Henry Thomas

Inhalt: Der junge Amsterdam Vallon versucht, den Mörder seines Vaters zu töten.

Kritik: Mit dem Bartwuchs ist es ja so eine Sache. Während einige mutmaßlich nahe Verwandte von Pete Sampras mit dem stündlichen Rasieren kaum nachkommen, müssen sich andere mit weniger vorteilhaften Genen, darunter der bedauernswerte Autor dieser Zeilen, wochenlang mühen, um auch nur die lächerliche Parodie eines Ziegenbärtchens zu produzieren. Trost bleibt nur im sicheren Wissen, daß Bartträger meistens etwas zu verbergen haben, und daß eine (krypto)stählerne Männerbrust ungleich attraktiver wirkt, wenn sie nicht haarig wie Lassie, sondern blank wie Ben Afflecks Geist durch die Welt getragen wird; und wer könnte uns das eindrücklicher lehren als der größte Wissensspender unserer Zeit, das Kino?

Gangs of New York also, und Michael Ballhaus' sich später etwas ermüdend an protzigen Panoramaaufnahmen ergötzendes Kameraauge sieht Liam Neeson beim Rasieren zu, bis nur noch ein struppiger Schnurrbart übrig bleibt. Neeson ritzt sich mit dem Rasiermesser an und sagt seinem jungen Sohn, daß immer Blut an der Klinge bleiben müsse, und wie er rätselt man, warum, doch Martin Scorsese wird es bis zum Ende seines Films, immerhin mehr als zweieinhalb Stunden später, nicht verraten, und wüßte man das schon jetzt, man würde sich von Anfang an ernstliche Sorgen um diesen großen Regisseur machen und sich so selbst den Film mehr und mehr vermiesen.
Das freilich scheint Scorsese auch im Alleingang zu schaffen, wie im Verlauf des Filmes immer klarer wird, und als Gangs of New York im Nebel aus Pulverdampf und Schutt endet, ist es, als wären die Leinwand und all ihre Akteure aus reinstem Kristall...

Doch wir waren bei Liam Neesons Rasur, und nach dieser sammelt er als "Priest" Vallon seine irischen Männer und Frauen, darunter einen gewohnt massig-gefährlichen Brendan Gleeson und einen tumb-bulligen John C. Reilly um sich, um im New York der Mitte des 19. Jahrhunderts gegen die Einheimischen unter der Führung des brutalen William Cutting, genannt "Bill the Butcher" (Daniel Day-Lewis) um die Vorherrschaft über das Viertel der Five Points zu kämpfen. Day-Lewis trägt einen beeindruckenden schwarzen Schnauzer, und ebenso unübersehbar furchteinflößend, präsent und aggressiv gestaltet sich sein Spiel, das jederzeit zu den Highlights von Gangs of New York zählt.
Howard Shores leider ziemlich einfallslos aus The Lord of the Rings: The Fellowship of the Ring recycelter Soundtrack hebt an und mit ihm das halbrealistische Schlachten, das vielen Beobachtern zuviel war, aber dennoch nur selten ein herkömmliches Gladiator-Niveau übersteigt. Bill hackt sich bis zu Vallon durch und tötet ihn in einem unaufmerksamen Moment, worauf Vallons Sohn erschrocken und von Trauer und Zorn getrieben Reißaus nimmt, und hätte Bill die "Evil Overlord"-Liste gelesen, wüßte er, daß er nun schleunigst gemäß Regel 38 dem Kind mit seinem Beil nacheilen müßte. Doch er bleibt stehen, und so nimmt das Unheil seinen unvermeidlichen Lauf.

16 Jahre später begegnet es uns in der Gestalt Leonardo DiCaprios wieder, der hier nicht nur die lächerliche Parodie eines Vollbärtchens trägt, sondern auch einen beständig pseudogefährlichen Gesichtsausdruck, der wie der eines harten Straßenjungen aussehen soll, in Leos rundem Wohlstandsgesicht aber nur wie die unglaubwürdige Pose wirkt, die er ist. Nach vielen Jahren im Waisenhaus kehrt der Sohn Amsterdam Vallon in die Five Points zurück, um seinen Vater endlich zu rächen, und wird sogleich von Henry Thomas (bekannt vor allem aus E.T. the Extra-Terrestrial) erkannt und inkognito in die Gesellschaft Bill the Butchers eingeführt, der mittlerweile mithilfe des Politikers Tweed (Jim Broadbent verläßlich schmierig und korrupt) mit eiserner Faust über das Viertel herrscht.

Vallon scheint es mit seiner Rache nicht eilig zu haben und erfreut sich lieber mit dem Zuschauer am derben Lokalkolorit und der opulenten Ausstattung, die mit diesem DiCaprio in ihrer Mitte freilich wirkt, als würden statt gestandener und stimmgewaltiger Diven verhuschte und piepsende Grundschüler den "Ring" auf dem Grünen Hügel singen. Er lernt die Taschendiebin Jenny Everdeane (Cameron Diaz etwas zu routiniert) kennen und trotz ihrer amourösen Vorgeschichte mit Bill the Butcher über kurz lieben, und als dieser sie und Vallon im Bett ertappt, hofft man, daß es nun endlich zum Showdown komme. Doch stattdessen erzählt Bill Vallon, den er inzwischen aufgrund seiner Cleverness und Lernbegierde als Sohnersatz liebgewonnen hat, nur von der großen Ehrenhaftigkeit von Vallons Vater - das wenigstens eindrücklich. So ist es an Henry Thomas, dem immer mehr vor sich hin dümpelnden Film als Ischariot wieder Fahrt zu geben, und tatsächlich kommt es in der besten Szene des Films zu einem furiosen, hochspannenden und blutigen, von Day-Lewis grandios gespielten Abschluß.

Leider nicht. Aus unerfindlichen Gründen setzen Jay Cocks und seine Coautoren Steven Zaillian und Kenneth Lonergan ihren Schlußpunkt nicht hier, sondern viele verwirrende, klischeehafte, konfuse und unglaubwürdige Szenen und über eine halbe Stunde später, und mit den bis dahin einigermaßen kohärenten Charakteren löst sich auch die Aufmerksamkeit des Zuschauers nach und nach in Wohlgefallen auf, bis nur noch eine diffuse Nebelwolke bleibt, in der Bill Vallon und Vallon Bill grimmig sucht. Dieser bizarre Ringelreihen versinnbildlicht das schlußendliche Scheitern von Gangs of New York und Scorsese: kaum erkennbare Figuren drehen sich ohne Sinn und Interesse für ihre einzigartig lebendige Umgebung einen tausendmal gesehenen Tango tanzend umeinander, bis allen Beteiligten zuerst schwindlig und dann übel wird. Hätte man doch nur einen Bart, den man sich ausreißen könnte!

***von 5 Sternen.

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