Kritik:
Allen
Turnbeutelvergessern und Q-Tip-Stemmern habe ich, es macht
immer wieder Spaß, das zu betonen, meine
Militärerfahrungen voraus. Zwar nur
Bundeswehrerfahrungen, aber besser als nichts ist das
allemal. Anyway, als ich frisch eingezogen worden war, noch
jung, grün hinter den Ohren und beeinflußbar,
liefen meine Leidensgenossen und ich im Bestreben,
Getränke zu kaufen, durch die Kaserne, als es aus einem
der Wohngebäude hämisch und vernehmlich
"Hahahaa! Aus, ihr Füchse!" schallte. Sofort
fühlte ich mich an Full Metal Jacket erinnert
und befürchtete für die Zukunft das Schlimmste, so
dicht war dieses Erlebnis am emotionalen Grundton des Films
dran. Aber es kam zum Glück anders, da die Bundeswehr
- alle noch Einzuziehenden seien beruhigt - bekanntlich weder
eine Armee noch überhaupt eine Organisation irgendeiner
Art ist.
Dafür
hat Stanley Kubrick wie in seinen anderen Filmen auch eine
rigide Organisation gehabt: Ronald Lee Ermey, der eigentlich
nur als Berater für die Rolle des Drill Sergeant
vorgesehen war, wurde, weil er so gut war - er war
früher wirklich Ausbilder -, kurzerhand eingewechselt,
was Ermey zu einer immer noch andauernden Filmkarriere
verhalf, die sich langsam von den Klischee-Schleifer-Rollen
entfernt. Weiterhin ließ der Meister ein ganzes
Viertel in der Nähe von London als Vietnam-Ersatz
herrichten, nachdem er sich zuvor informiert hatte,
daß das Wetter in Vietnam 1968 dergestalt war, wie es
in England zu sein pflegt: bewölkt und regnerisch. Den
ganzen Aufwand betrieb Kubrick wie immer nur, um nicht ins
Ausland reisen zu müssen: nach einem kurzen Abstecher
nach Hollywood einige Jahrzehnte zuvor war ihm das Reisen
so gründlich vergällt, daß er bis zu seinem Tod
in der Nähe von London blieb.
Das tut dem
Realismus des Films aber keinen Abbruch. Angefangen vom
kollektiven Haare-Abrasieren über die akkuraten
Uniformen bis zu den geometrisch gefältelten Bettdecken
hätte jeder Ausbilder seine Freude an Full
Metal Jacket. In intensiven, sorgfältigst
zusammengestellten Szenen wird gezeigt, wie das Militär
aus Menschen seelenlose, zum Töten
bereite Kampfmaschinen macht. Neben den Soldaten-Schauspielern, die hervorragend
ihre unterwürfigen bis psychotischen Charaktere geben,
ist natürlich Ronald Lee Ermey als brutaler Gunnery
Sergeant mit messerscharf gebügelter Uniform
hervorzuheben, der mit hemmungslosen, den Wortschatz
erweiternden Beschimpfungen aus Maden Männer macht. Wunderbar zeigt Kubrick in kühlen
Bildern den ganzen Männlichkeits- und Waffenwahnsinn
des Militärs, der in den zotigen Marschgesängen,
den verdrehten "Geschichtsstunden" und den pedantischen
Kontrollen immer neue Höhepunkte findet, bis es zur
durch den menschenverachtenden Drill ausgelösten
Tragödie kommt, von Vincent D'Onofrio beklemmend
verrückt gespielt.
Aber der
Krieg muß weitergehen, und so verfrachtet Kubrick den
Zuschauer mit einem schnellen Schnitt von Parris Island nach Vietnam, mitten in den zweiten Teil
des Films. Dort schleichen die Soldaten durch verfallene
Häuserschluchten und geraten schließlich in einen
Hinterhalt, von Kubrick schockierend realistisch und
aufwühlend, aber fast etwas behäbig inszeniert.
Dennoch bewegt das langsame Sterben eines der Soldaten immer
noch mehr als fünfhundert Tote auf einmal in Saving
Private Ryan. Und als endlich der Schütze entlarvt
wird, wird der ganze Irrsinn Vietnam noch einmal
erschreckend deutlich: nur drei Frauen sind im ganzen Film
zu sehen, zwei davon Prostituierte, und eine ist
ausgerechnet die Todesschützin. Daß so ein
einfaches Mißverhältnis weit länger im
Gedächtnis haften bleibt als noch so splatterig
ausgeweidete Infanteristen, spricht für die
Größe dieses Films.
    von
5 Sternen.
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