Kritik: Ab und zu tut es
gut, Urlaub von all den harten Helden, einzigartigen
Explosionen, hübschen Häschen und wirren Wendungen
zu nehmen, die das heutige Mainstream-Kino bietet, und eine
ganz andere Art Film zu genießen. Und wie gerufen
erscheint Fantasia 2000, die Neuauflage des bekannten
Disney-Klassikers Fantasia, in dem verschiedene
klassische Musikstücke mit jeweils unterschiedlichen
Zeichentrickfilmen visualisiert wurden. Sechzig Jahre nach
dem Originalfilm hat Disney weder Geld noch Mühen
gescheut, um mit neuen (computer-)zeichnerischen Mitteln
möglichst beeindruckende Bilder zu erzeugen. Schnell
noch das Chicago Symphony Orchestra, den weltberühmten
Solisten Itzhak Perlman und den nicht minder bekannten
Dirigenten James Levine verpflichtet, ein paar berühmte
Ansager eingekauft, und alle Voraussetzungen für einen
Spitzenfilm sind da.
Daß
Fantasia 2000 dennoch "nur" gut geraten ist, liegt
seltsamerweise vor allem an den bekannten Ansagern. Wenn man auf ununterbrochenen
Zeichentrickgenuß eingestellt ist, stört es doch
sehr, wenn sich Steve Martin oder der Quotenschwarze James
Earl Jones zwischendurch in lauen Scherzen ergehen, wenn
Bette Midler die ganze Zeit dumm grinst oder wenn Angela
Lansbury ihre runzlige Haut vorzeigt. Wie hineingeklebt und
als ob ihre völlig übertrieben guten Anzüge
schlecht sitzen würden, stehen die Schauspieler da und
sagen das nächste Stück an, das den Zuschauer
endlich vom Realfilm-Anblick von James Levines
ungebändigtem Wuschelkopf erlöst.
Die
Zeichentrickfilme selbst zeigen sich von ihrer technisch und
farblich prachtvollsten Seite (die schönsten bunten
Lichter, kräuselnden Wellen und schnuckligen Tiere
kommen immer noch von Disneys Zeichentischen), aber von
durchaus unterschiedlicher Qualität. Eröffnet wird
der bunte Reigen von Ludwig van Beethovens fünfter
Symphonie, die einen bildlich eher langweiligen Kampf
abstrakter Schmetterlinge untermalt. Weiter geht es mit
Ottorino Respighis wunderschönem "Pinien von Rom", zu
dem etwas steril im Computer gezeichnete Waleltern im
Polarmeer mit ihrem Schabernack treibenden Kind durch die
Luft fliegen. Die Eskapaden des Walkindes stehen in der
besten Disney-Tradition der lustigen, slapstickartigen
Szenen von solchen Sidekicks wie Pumbaa oder Mushu und regen
auch verknöcherte Erwachsene noch zu einem Lächeln
an.
Dann folgt
George Gershwins herrliche "Rhapsody in Blue", die die
musikalische Grundlage für einen Tag im Leben einiger
Personen in New York bildet. Ihre Suche nach
persönlichem Glück wird in einem etwas
gewöhnungsbedürftigen Zeichenstil schön
lustig gezeigt, immer in wunderbarer Übereinstimmung
mit Takt und Rhythmus von Gershwins Musik. Als nächstes
ist das zweite Konzert des eher unbekannten, aber genialen
Dmitri Schostakowitsch dran, zu dem Hans Christian Andersens
klassisches Märchen vom standhaften Zinnsoldaten
gezeigt wird. Auch hier wirken die Figuren durch den
häufigen Einsatz der Computeranimation steril und
leblos, und die Tötung des Bösewichtes im Feuer in
schlechtester Auge-um-Auge-Disney-Tradition ist auch
fragwürdig, aber das tut der Klasse der Story (fast)
keinen Abbruch.
Ein kurzer,
unspektakulärer Slapstickfilm mit Flamingos und Jojos
zu Camille Saint-Saëns' "Karneval der Tiere" ist der
Auftakt zum Finale, das die besten Teile von Fantasia
2000 bietet: der klassische Zauberlehrling-Film mit einem herumtänzelnden Micky Maus nach dem gleichnamigen Gedicht von Johann
Wolfgang von Goethe zu Paul Dukas' gleichnamiger Musik
ist mit seinem Humor, seinen interessanten und
kräftigen, mit Liebe handgemachten Bildern und seiner
unschlagbaren Verknüpfung von Auge und Ohr immer noch
das Glanz- und Schmuckstück der Reihe. Es folgt ein
weiterer guter Film mit Publikumsliebling Donald Duck als
Archenmatrose, der glaubt, seine Daisy in der Flut verloren
zu haben. Edward Elgars "Pomp and Circumstance" passt
manchmal nicht ganz zu den Bildern, aber dafür bieten
diese mit Donalds Wutanfällen und lebensechten
Tieranimationen einiges für den Sehnerv. Zum Ende gibt
es noch eine allegorische Adaption von Igor Strawinskys
"Feuervogel", in der die Natur im Kampf mit einem feurigen
Bussard den Boden begrünt, alles etwas kitschig-klebrig
umgesetzt, aber nicht so, daß es weh tun
würde.
Zusammengefasst
also bietet Fantasia 2000 trotz der mißlungenen
Realfilm-Witzchen einiges fürs Geld: prima gespielte
Musik mit meist schön genießbaren Bildern macht
diesen Film zu einer Empfehlung für alle, die die
Grenzen linearer Plots und kontinuierlicher Geschichten
überschreiten wollen.
1/2
von 5
Sternen.
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