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Dancer in the Dark

-- Cher, sieh Dich vor! --

Szene aus Dancer in the Dark

Info über Dancer in the Dark (DK 2000)

Regie: Lars von Trier

Darsteller: Björk, Catherine Deneuve, David Morse, Peter Stormare, Cara Seymour, Udo Kier

Inhalt: Die erblindende Osteuropäerin Selma schuftet in den Vereinigten Staaten, um genug Geld für eine Augenoperation ihres Sohnes aufzutreiben.

Kritik: Der Film beginnt, und die Leinwand bleibt dunkel. Aber noch ehe Unruhe ob der befürchteten Panne eintritt, beginnt die Musik mit einer eindrucksvollen Ouvertüre, die über Minuten den Kinosaal erfüllt. Gerade weil die Leinwand dabei die ganze Zeit dunkel bleibt, bleibt diese Szene so lebhaft im Gedächtnis zurück, als hätte man soeben seinen allerersten Film gesehen. Mit dieser geradezu lächerlich simplen Eröffnung tritt der dänische Regisseur Lars von Trier, der vor allem durch seine puristischen Dogma-Regeln bekannt geworden ist, über die Grenzen des Mediums Film hinaus und schafft mit einfachen Mitteln etwas berückend Anderes.

Auch stilistisch ist von Triers Film überaus eigenwillig: die Akteure bewegen sich durch karg-unspektakuläre Schauplätze in verwaschenen Farben und körnigen Bildern, wobei eine entfesselte Handkamera ihnen ganz nah auf die Pelle rückt. Die extremen Nahaufnahmen aus allen Perspektiven und der ungewöhnliche Schnitt, der seltsam ungeduldig fließende Bewegungen wie das Schwenken eines Armes auf ihren Anfangs- und Endpunkt reduziert, heben Dancer in the Dark stark von der gewohnten (Hollywood-)Machart ab, obwohl mit der wie immer attraktiven und talentierten Catherine Deneuve zumindest ein weithin bekanntes Mainstream-Leinwandgesicht mitspielt. Auch die anderen Schauspieler sind nicht gänzlich unbekannt: zumindest David Morses Gesicht dürfte den meisten Kinogängern bekannt sein, Peter Stormare hat unter anderem in Michael Bays grauslichem, hier ungenannten Wir-haben-die-dicksten-Bohrer-Machwerk mitgespielt, und Cara Seymour war erst kürzlich als verquälte Prostituierte in American Psycho zu sehen.

Die beste Leistung kommt aber von einer Person, die bisher nur selten auf der Leinwand zu sehen war, obgleich sie eine bekannte Künstlerin ist: die isländische Musikerin Björk. Ihre exzentrische Musik und ihre schwer einzuordnende Stimme (viele sprechen hier von der "isländischen Elfe", eine kurios passende Bezeichnung) haben sie in der ganzen Welt berühmt gemacht, und die Isländer liegen ihr zu Füßen, weil viele überhaupt erst dank Björk wissen, daß es ein Land namens Island gibt. Wenn man Björks Musik verabscheut, sollte man besser einen weiten Bogen um Dancer in the Dark machen, denn die Sängerin und ihre extra komponierten Lieder beherrschen den Film ganz außerordentlich. Gerüchteweise haben sich Björk und der Regisseur sogar mehrfach überworfen, nachdem Lars von Trier die Musikerin bis zur Erschöpfung angetrieben hatte. Wie immer muß man solchen Kolportationen mit einer großen Portion Skepsis begegnen, da schon die verrücktesten Dinge gesagt und getan worden sind, um die PR zu schüren.
Jedoch ist unstrittig, daß trotz oder wegen aller angeblichen Querelen Björks Leistung gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. Als besorgte, etwas naive Mutter, die für die nötige Augenoperation ihres Sohnes Tag und Nacht schuftet und dabei nach und nach erblindet, bringt sie ihre Aufopferung und ihren Kampf mit der Behinderung erschütternd glaubhaft und bewegend rüber - wenn die halbblinde Björk an riesigen Pressen und Schneiden mit bloßen Händen arbeitet, ist das mehr Horror als in allen Stephen King-Filmen zusammen. Zwischendurch blockt sie noch ("Ich habe keine Zeit für einen Freund") die tapsigen Annäherungsversuche des von Peter Stormare liebenswürdig sanft gespielten Jeff ab, neckt ihre Kollegin Kathy (Catherine Deneuve mit einem schweren Akzent) oder besucht ihre Vermieter, den Polizisten Bill (David Morse als verschuldeter Cop) und die Hausfrau Linda (Cara Seymour etwas enttäuschend als Luxusweib). Mit ihrem knubbelig-exotischen Aussehen und ihrer Vorliebe für kitschige Musicals wirkt diese Selma manchmal fast wie ein Kind, und so ist es kein Wunder, daß sie ihr gespartes Geld in einer Bonbondose aufbewahrt, Symbol ihres amerikanischen Traums.

Dieser bricht sich sonst nur Bahn in den Musicalpassagen, in denen Björk den Rhythmus von Maschinen und Bewegungen zu packenden Melodien verarbeitet hat. In Selmas manchmal etwas lasch choreographierten Bessere-Welt-Phantasien, die in den absurdesten und eigentlich traurigsten Momenten - im Gerichtssaal oder auf der Todesmeile - beginnen, ist immer jemand da, um sie aufzufangen. Björks gewöhnungsbedürftiger Gesang ist dabei durchaus verschieden vom üblichen, glatten Pop-Einerlei, besitzt aber einen gewissen verschrobenen Charme. Zum Glück hat man die Lieder nicht auch synchronisiert - Sandra Schwittau, Bart Simpsons deutsche Stimme, ist mit ihrem rauhen Organ zwar eine überraschend gute Björk-Synchro, aber zum Singen taugt sie bestimmt nicht.
Da Dancer in the Dark aber nicht nur ein Musical, sondern auch ein Drama ist, kommt der hochverschuldete Bill, der Angst hat, seine Frau zu verlieren, wenn er ihr keine teuren Dinge mehr kaufen kann, hinter Björks Bonbondosen-Geheimnis und stiehlt ihr Geld. Die Tragödie bleibt natürlich nicht aus, und wie tiefgehend auf den ersten Blick kitschige Handlungsteile (Operettenverhandlungen mit heuchelnden Anwälten, "Paß auf mein Kind auf", Todeszelle, kryptoreligiöse Symbolik...) in einer ungewöhnlichen Inszenierung und in den Händen fähiger Schauspieler sein können, beweist Lars von Trier im letzten Drittel des Films, das am vehementesten in Erinnerung bleibt. Selmas Hunger nach Geräuschen und Musik, die sie so dringend braucht wie andere Leute die Luft zum Atmen, wird ebenso eindringlich klar wie die Unmenschlichkeit der staatlichen Exekutionsindustrie, die sich - ein schöner Rückgriff auf ein vorher vorgestelltes Motiv - nicht einmal um gängige Musical-Happy-End-Konventionen schert. Ob von Trier hier so massiv auf die Tränendrüse drückt, weil es ihm wirklich um seine Charaktere geht, oder nur, weil er die Musicalklischees zynisch persiflieren will (dazu würden auch die bereits besprochenen Kitschelemente passen), ist allerdings nicht ganz klar. Einen tiefen Eindruck hinterläßt Dancer in the Dark aufgrund seiner im wahrsten Sinne des Wortes nahegehenden Inszenierung jedenfalls so oder so.

****1/2 von 5 Sternen.

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