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The Cell

-- Unwertes Leben? --

Szene aus The Cell

Info über The Cell (USA 2000)

Regie: Tarsem Singh

Darsteller: Jennifer Lopez, Vincent D'Onofrio, Vince Vaughn, Jake Weber, Tara Subkoff, Jake Thomas

Inhalt: Jennifer Lopez dringt in den Geist eines Serienmörders ein, um herauszufinden, wo er sein letztes Opfer gefangenhält.

Kritik: Rassismus gibt es nicht nur in unserem Wintermärchen Deutschland, wo Wind und Regen grimm über weite Felder fegen, sondern auch im sonnigen Kalifornien, wo die einzige Sorge der Menschen das große Erdbeben ist, das zumindest im Jahr 2002 noch immer aussteht. Obwohl ein immer größerer Teil der US-Bevölkerung "schwarz", lateinamerikanisch oder asiatisch ist, finden sich auf der großen Leinwand und bei den einschlägigen Preisverleihungen weiterhin nur die altbekannten "weißen" Gesichter, und Superstar wird nur, wer ein entsprechend WASP-kompatibles Aussehen vorweisen kann. Auch im 21. Jahrhundert wartet der geneigte Zuschauer noch auf den ersten echten weiblichen "schwarzen" Topstar, der in einer Gehaltsskala mit Leuten wie Julia Roberts und Meg Ryan steht.
Zum Glück sind die USA trotz allem noch immer zu Überraschungen fähig, und so findet sich heuer tatsächlich eine junge (Pseudo-)Lateinamerikanerin an der Spitze der Kino- und Musikcharts wieder. Jennifer Lopez bezaubert nicht nur mit ihren aufregenden Kurven (die auch in vorliegendem Film ausgiebigst mit hautengen Kostümen und einem etwas gezwungenen Tanga-Auftritt zelebriert werden) und ihrem regelmäßig-schönen Gesicht, sondern beweist mit ihrem Erfolg auch, daß es selbst in der verkrusteten Filmbranche Bewegung geben kann.

Leider kann die gute Jennifer dafür seltsamerweise - und damit kommen wir zu Tarsem Singhs Debütfilm The Cell - nicht besonders gut schauspielern (was bei ihrem Aussehen den meisten Filmproduzenten und vielen seltenen Kinogängern herzlich egal sein dürfte). Dem etwas versierteren Besucher könnte Lopez' linkisch-ungenau-wächserne Mimik den Filmgenuß durchaus vergällen, zumal sie, um wenigstens etwas Leistung bringen zu können, erfahrenere Regisseure zu brauchen scheint, die sie fordern und fördern. Tarsem Singh aber ist ein Debütant, der zwar schon Werbespots und Musikvideos gedreht hat, mit einem ganzen Film aber überfordert war. Mehr als durchschnittliche Leistungen konnte er aus seinem Cast nicht herausholen, obwohl ihm mit Vince "Norman" Vaughn und dem unvergleichlichen Vincent D'Onofrio zwei hochkarätige Darsteller zur Verfügung standen. Aber Vaughn wirkt nur wie ein narkotisiertes Fox-Mulder-Abziehbild, und D'Onofrio, aufgrund seiner früheren, exaltierten Rollen eigentlich als verrückter Mörder prädestiniert, schlurft, obwohl sein Charakter so schräg wie kaum ein anderer Filmbösewicht ist, so lustlos-depressiv durch die Welt, als würde er in zwei Tagen nach Parris Island eingezogen. Wo ist die skrupellose Gefährlichkeit aus Strange Days oder die fremdinduzierte Verrücktheit aus Men in Black geblieben?

Viel kann aber selbst ein D'Onofrio nicht aus dem Drehbuch machen, das über holzschnittartig angedeutete Charaktere, plakativ-stumpfe Dialoge, eins-zwei-drei-Trivialpsychologie, klischeehafte Situationen, konfuse Schnitte und logische Löcher in der Größe von Frau Lopez' Hintern (womit dieser obligatorische Scherz auch erledigt wäre...) nicht hinauskommt: so hat ein angeblicher Albinohund blaue Augen, und Lopez kann wunderbarerweise von innen den Code einer Sicherheitsschleuse ändern, was ungefähr so sinnvoll ist, wie Strafgefangenen die Möglichkeit zu geben, vom Inneren ihrer Zelle aus das Zellenschloß zu wechseln. Auch mangelt es an einem richtigen Showdown (stattdessen führt ein beiläufiger Zufall zum Happy-End), die Nebendarsteller sind mehr oder weniger Staffage, und Jennifer Lopez' Lipgloss-Verbrauch übertrifft manchmal sogar den von Angelina Jolie und Melanie Griffith zusammen - andere, zwischenmenschlichere Chemie als die in ihrer Schminke gibt es aber dennoch in keiner Szene.

Gäbe es nur die Szenen in der realen Welt, wäre The Cell fast ein Fall für den Gelben Sack. Aber zum Glück hat sich Singh zusammen mit seinem Autor Mark Protosevich und seinem Kameramann Paul Laufer auf seine Videoclip-Qualitäten besonnen und fabelhafte (Alp-)traumwelten ersonnen, in denen eine Überraschung auf die nächste folgt. Angefangen mit der Wüste Namibias, in der Lopez als Fast-Engel in einem weißen Kleid einen kleinen, komatösen Jungen psychisch betreut, ist jede Szene in den Köpfen der Protagonisten eine audiovisuelle Kreativitätsexplosion, die den Rahmen der Leinwand zu sprengen droht. Nach der schlichten Kargheit der Wüste, die dennoch in wunderbare Bilder verpackt ist, landet Lopez in D'Onofrios Gedanken, die sich mal wie eine Mischung aus Hieronymus Bosch und M. C. Escher, mal wie Buffalo Bills Wohnung aus The Silence of the Lambs und mal wie ein orientalischer Festsaal aus Tausendundeiner Nacht, aber immer äußerst aufregend und atemberaubend ausnehmen. Kamera, Musik, Maske und Kostümabteilung übertreffen sich hier gegenseitig im Bestreben, immer neue, schillernde und berückende Szenarien zu erschaffen, was ihnen meistens auch hervorragend gelingt und einen echten Grund darstellt, sich den 110 Minuten langen, aber trotzdem kurzweiligen The Cell anzusehen; auch noch so geschliffene Worte können diese Bilder nicht annähernd beschreiben. Einzig Vaughns Eintritt in D'Onofrios Kopf wirkt wie eine Demo eines ultrateuren Graphikprogramms, und Lopez' Gedanken sind so kitschig-kirschblütenrosa, daß ich jeden Moment darauf gewartet habe, daß "Sakura, Sakura" ertönt.

Lopez' Gedanken sind es auch, die mich gegen Ende des Films, nachdem die furiosen Kopfszenen mich mit dem nur durchschnittlichen Rest des Films versöhnt hatten, doch noch stutzig gemacht haben. In einer hemmungslos von kryptoreligiösem Pietà-Kitsch durchtränkten Einstellung tut sie nach einer recht gewalttätigen, teilweise aus Fight Club geklauten Konfrontation etwas, das in Verbindung mit zuvor von Vaughns Charakter gemachten Äußerungen den Anschein erweckt, als wolle Tarsem Singh einen Beitrag zur Sterbehilfe-Debatte leisten. Was solche Aussagen in einem ansonsten von gesellschaftspolitischen Positionen weitgehend freien Film zu suchen haben, ist schleierhaft und macht The Cell nur noch zwiespältiger. Denn den fulminanten Gedankenwelten und der visuellen Originalität des Filmes stehen somit nicht nur die eher durchschaubaren und mäßig gespielten "Real"szenen, sondern auch die fragwürdige Schlußaussage gegenüber. Einen Besuch ist Singhs Film aber auf jeden Fall wert, allein, um mit eigenen Augen zu sehen, daß eine riesige Multiplex-Leinwand und ein perfektes Soundsystem doch für mehr als hirnlose Mainstream-Actionkracher gut sein können.

***1/2 von 5 Sternen.

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