Kritik:
In
Persönlichkeitstests, Freundschaftsbuch-Fragebögen
und Radioquizzen wird oftmals gefragt, welche drei bis
fünf Dinge man gerne auf eine einsame Insel mitnehmen
würde, in der Hoffnung, derart das Innere der Befragten
zu enthüllen - getreu dem Glauben, daß die
Übervorsichtigen ein Satellitentelefon und eine
Submachinegun mit sich nehmen, die verträumten
Gauguin-Romantiker aber nur ein Baströckchen und eine
Bambushängematte.
William
Broyles Jr., Robert Zemeckis' Drehbuchautor für Cast
Away, weiß eine nette Antwort, die auf
einfach-betörende Weise sowohl die Frage selbst als
auch die Artefakte der modernen Zivilisation als
lächerlich nutzlos entlarvt, sobald sie ihrem
gewohnten Kontext enthoben werden: nach dem recht
chaotisch-kamerawackligen Absturz seiner
FedEx-Frachtmaschine fischt der einzige Überlebende Chuck Noland Pakete aus dem Pazifik, die solch sinnvolle
Dinge wie Schlittschuhe, Abendkleider und einen Volleyball
enthalten. Aber der Mensch, auch der "zivilisierte",
wäre nicht die selbsternannte Krone der Schöpfung,
wenn er nicht auch aus den scheinbar unsinnigsten Utensilien
noch etwas Brauchbares zusammenzimmern könnte, und so
funktioniert Noland am Ende selbst ein halbes
Dixi-Häuschen zu seinen Gunsten um.
Ruhige, die
Wegwerfgesellschaft karikierende Szenen wie diese sind ein
nur zu seltener Urlaub vom modernen Highspeed-F/X-Kino, das
auch am Beginn von Cast Away anklingt, als Tom Hanks
als gehetzter Manager Noland zuerst seinen
Untergebenen in Moskau Feuer unterm Hintern macht, danach
kurz mit seiner Verlobten (die schauspielerisch begrenzte
Helen Hunt mit ihrem weiterhin herb-hochstirnigen Gesicht)
Weihnachten feiert, um daraufhin wieder in ferne Länder
aufzubrechen. Das FedEx-Logo wird hierbei so penetrant in
Szene gesetzt, daß der geneigte Zuschauer sich zu
fragen beginnt, worin die Intention dieses Filmes liegt.
Aber ehe die FedEx-erei allzu peinlich wird, stürzt
Nolands (FedEx-)Flugzeug ab, und mit Müh und Not kann er sich
aus der dank dem Computer tosenden See auf eine kleine Insel
retten, wo er mit den Unbilden des Wetters, harten
Kokosnüssen, spitzen Steinen, glitschigen Fischen,
hohlen Zähnen und Wassermangel zu kämpfen hat. Don
Burgess' schöne Kamera und Alan Silvestris
zurückhaltender Soundtrack umrahmen
gekonnt-atmosphärisch Nolands täglichen Kampf ums
Überleben, der eindrücklich klar macht, daß
in der Not auch Wasser aus obskuren Pfützen und Schuhe
von Toten keine Tabus darstellen - Tom Hanks' bisweilen
etwas sentimentale, aber ansonsten gelungen-intensive
Darstellung läßt den Zuschauer eingehend
mitfühlen, wenn Chuck "baby, light my fire" Noland
endlich Reisig zum Brennen bringt (gerüchteweise hat
Robert Zemeckis, der in seinen Filmen mitunter mehr
Spezialeffekte als in The Matrix einbaut, diese aber
geflissentlich versteckt (und somit viel mehr als George
Lucas oder Steven Spielberg als der große Manipulator
gelten sollte), diese Szene am Tag drehen lassen und nachher
F/X-mäßig auf Nacht getrimmt), den Keil entdeckt
oder in seiner Einsamkeit ein Gesicht auf den Volleyball
malt, um sich einen kleinen Freund zu schaffen.
Dieser
Volleyball, von Noland nach seiner Herstellerfirma Wilson
genannt, sorgt auch für die emotionalsten Momente des
Films, die selbst für hartgesottene Naturen trotz ihrer
offensichtlichen Absurdität und gelegentlichen
Kitschigkeit nur schwer ohne Griff zum Taschentuch
auszuhalten sind - Tom Hanks und der Ball harmonieren in
ihrer halbverrückt-schizophrenen Konversation so gut
und bilden ein so sympathisch-bizarres Paar, daß die
eher melodramatischen Verstand und Gefühl-Szenen mit
Helen Hunt nach Nolands selbst herbeigeführter Rettung
dagegen ganz abfallen. Am etwas überhasteten Ende schließlich vermittelt
Cast Away statt langer Analysen eine recht amerikanisch angehauchte,
lebensbejahend-schöne "Keep living to see what the tide
brings"-Haltung, die Noland trotz der erlittenen Ängste
und Verluste dazu bringt, angesichts der Weite des Landes,
wo er früher nur die Weite des Meeres sah, befreit zu
lächeln. Ein nett-moderner Robinson-Film also, manchmal
etwas forciert "I'd like to thank the Academy"-dramatisch,
aber in seiner eindringlichen Darstellung der Verzweiflung
und des Überlebenskampfes eines (seiner
selbstgeschaffenen Kokons beraubten) Zivilisationsmenschen
entlarvend, spannend-interessant und zum Nachdenken
anregend.
von
5 Sternen.
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