Kritik:
Sein Daddy hat ihm
den Kinobesuch verboten - "Aber egal! Nichts kann die
Phantasie eines kleinen Jungen übertreffen!" - Bart
Simpson sagt's, und seine Helden Itchy und Scratchy
erscheinen in einer Gedankenblase, stehen rum, warten,
stehen rum, warten... "Ah! Das Fernsehen hat meine
Einbildungskraft ruiniert!"
Ungefähr
so fühlte ich mich in Teilen von The Blair Witch
Project. Da nie Ungeheuer, Monster oder Hexen zu sehen
sind, ist man auf seine eigene Phantasie angewiesen, um sich
zu gruseln. Aber durch den Konsum zuvieler "Meisterwerke"
wie Instinct ist mein Gehirn bereits verseucht wie
Block 4 von Tschernobyl, und ich hatte Mühe, mir selbst
schreckliche Dinge vorzustellen, während lauter
grauenvolle Bilder von Richard Gere und Kevin Costner in
meinem Kopf schwirrten. Dabei hatte ich den meisten
Zuschauern im Kino (kreischende Halbwüchsige, die noch
nie einen Wald von innen gesehen haben; die heutige Jugend
geht ziemlich schnell den Bach runter...) immerhin noch
meine Armee-Erfahrungen voraus: wir kampierten einst in einem Wald und schoben
turnusmäßig Wache. Auch ich setzte mich also
mitten in der Nacht an meinen Posten und lauschte in den
stockdunklen Wald hinein - jedes Blätterrascheln, jeder
Schrei eines Uhus, jedes noch so kleine Geräusch kam
mir vor wie eine feindliche Division, die verstohlen
vorbeimarschierte. So war ich, der gebürtige
Stadtmensch, wieder um eine interessante Erfahrung reicher.
Aber das nur am Rande - jedenfalls konnte ich so besser die
irrationale Panik der Städter-Studenten verstehen, die
unzureichend ausgerüstet in der ihnen unbekannten,
unbeherrschbaren Umgebung der Wälder Marylands
verlorengehen - interessant hier Heather Donahues Geschwafel
über die Urbarmachung der Natur in den USA, ihr Glaube
an die Macht der Zivilisation. Ein Lehrstück
darüber, wie sehr sich die "zivilisierten" Menschen von
heute von der Natur und ihren Ursprüngen entfernt
haben.
Auch die
Zerstörungskraft gruppendynamischer Prozesse wird hier
eindrucksvoll dargestellt und wirkt deshalb so echt, weil
alles (mehr oder weniger) echt ist. Das Filmmaterial ist tatsächlich
von den drei Studenten selbst gedreht worden (leider ohne
Musik), und die meisten Dialoge sind improvisiert. Die
drei wurden vom Filmteam regelmäßig nachts
überfallen und fühlten sich bald wirklich von der
Hexe von Blair verfolgt. Durch diesen neuen
schauspielerischen Ansatz, die "authentisch" verwackelten
Bilder und die geschickt gemachte Website wurde der Film
als "wahr" ausgegeben und grenzenlos gehypt - in den
USA.
Hier
allerdings weiß man mittlerweile, daß es "nur"
ein Film ist, und so gehen einige Überraschungseffekte und
etwas von der Spannung verloren. Nichtsdestotrotz ist The
Blair Witch Project originell und gefühlsecht - ein Film, der dem Zuschauer nichts abnimmt,
sondern ihn zwingt, sich das Böse selbst vorzustellen.
In Zeiten von vorverdauten Reißern mit dem
intellektuellen Anspruch von Modern-Talking-Liedern, die die
Gehirne der Leute in Brei verwandeln, ein riskantes
Unterfangen.
  von
5 Sternen.
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