Kritik:
Wie schön es
ist, nach Monaten der Plackerei (Mensa-Essen
runterwürgen, Kommilitoninnen becircen, Papierflieger
basteln...) endlich in den mehr oder weniger wohlverdienten
Urlaub zu fahren, muß ich keinem Deutschen - Mitglied
des reisefreudigsten Volkes der Welt - erzählen. Neben
schönem Wetter, schönen Einheimischen und
schönen Kulturgütern bestechen viele fremde
Länder auch durch formschöne Multiplexe, in denen
Tag und Nacht - wem auch immer sei ewiger Dank - statt
grotesker Synchronisationen angenehm untertitelte
Originalversionen der neuesten Filme laufen, oft Monate vor
dem deutschen Start. Um meine Milliarden Leser in aller Welt
also auch in der Ferne nicht zu vernachlässigen, begab
ich mich in die Mary Harron-Verfilmung des kontroversen Bret
Easton Ellis-Romans "American Psycho".
In einem
grau-gotischen, von unmenschlich hohen Hochhäusern,
abgrundtiefen Häuserschluchten und lächerlich
überdimensionalen Mobiltelefonen erfüllten
1987-New York lebt der Wall-Street-Yuppie Patrick Bateman
sein eintöniges Arbeitsleben. Nachts tötet er ohne
Grund Menschen.
In Mary Harrons Film sind es nicht allein die erstaunlich
stark der eigenen Phantasie überlassenen Mord- und
Folterszenen, die den Wahnsinn des Hauptdarstellers
verdeutlichen, sondern vor allem die scheinbar banale, aber
minutiös herausgearbeitete Beschreibung von Batemans
Alltag: seine tägliche Beauty-Prozedur mit Masken,
Peelings und Lotionen, der eines weiblichen Models in nichts
nachstehend, wird so hygienisch akkurat vorgestellt,
daß der Zuschauer sich einerseits ganz ungewaschen
vorkommt und andererseits über den völlig
übertriebenen kosmetischen Aufwand ganz erschrocken
ist. Auch Batemans Arbeitsplatz, an dem allein die Preise
der Anzüge, die Größe der Apartments und die
Machart der Visitenkarten zählen, schreckt durch seine
Realitätstreue ab, statt durch die durchaus humorige
Darstellung heimelig zu wirken. Die ernstgemeint tiefgehende
Interpretation seichtesten Mainstream-Pops ("It's hip to be
square" ) zusammen mit der Vorliebe für Hardcore-Pornos
und Horrorfilme ("I have to return some videotapes")
schließlich macht auf bezaubernd einfache Weise
deutlich, wie sehr Bateman im sinnentleerten
städtischen Dasein nach einer Orientierung
sucht.
Unfähig,
etwas anderes als Gier zu empfinden, treibt Patrick durch
nur der gegenseitigen Prahlerei dienende Meetings und durch
die Treffen mit seiner Verlobten, der er mit demselben
Desinteresse begegnet wie allen anderen ungebildeten ("Who
is Ted Bundy?", "He was spinning a menorah"...) Mitmenschen,
die ihn - und das ist einer der ganz wichtigen Punkte in
American Psycho - auch noch ständig
verwechseln.
Dabei ist Christian Bale mit seinem hüpfenden
Adamsapfel - dem Äquivalent zu Neve "Knöpfe zu"
Campbells zitternder Unterlippe - durchaus gut als
desillusioniert-unterkühlter Yuppie zu erkennen.
Schauspielerische Unterstützung erhält er von
Willem Dafoe als pflichtbewußtem Detektiv und den immer guten Schönheiten Chloë Sevigny und
Reese Witherspoon, die in poshigen Dekors zur gelungenen
Kamera und dem schönen Eighties-Soundtrack ihr Bestes
geben. Auch Jared Leto zeigt, was er kann: nach der
entstellenden Tracht Prügel in Fight Club wird
er hier in Batemans Bestreben, etwas Aufsehenerregendes zu
tun, mit einer Axt zerstückelt.
Wenig
aufsehenerregend sind Patricks traurig-perverse sexuelle
Abenteuer, in Wahrheit narzißtisch selbstbespiegelnde
Quasi-Onanien; und so bleibt nur die Sinnsuche im mehrfachen
Mord, einem - vor allem am Ende wird das erschreckend
lakonisch deutlich gemacht - vergeblichen Schrei nach
Aufmerksamkeit. Denn da Bateman selbst zu keinen
Gefühlen fähig ist, und da die Außenwelt
indifferent bleibt, kann sich nichts ändern, und so
bleiben Patrick und der Zuschauer, dem unmenschlichen
Gesicht der modernen Welt ansichtig, zerschlagen
zurück.
Daß Mary Harron mit wenig Geld und ohne unnötige
Splatter- und Schockeffekte einen so tiefen und
erschütternden Einblick in die neuzeitliche
Gesellschaft ermöglicht, spricht für die
kontroverse Kraft dieses Films, der einen Kinobesuch auch in
Deutschland auf jeden Fall lohnt.
von
5 Sternen.
|