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Le fabuleux destin d'Amélie Poulain

-- Fantastique! --

Szene aus Le fabuleux destin d'Amélie Poulain

Info über Le fabuleux destin d'Amélie Poulain (F 2001)

Regie: Jean-Pierre Jeunet

Darsteller: Audrey Tautou, Mathieu Kassovitz, Rufus, Dominique Pinon, Isabelle Nanty, Serge Merlin

Inhalt: Die junge Amélie verhilft den Menschen in ihrer Umgebung und dem Zuschauer zu mehr Glück.

Kritik: Zur Ungnade der späten Geburt gehörte bis zu einem Tag im Spätsommer 2001 neben dem traurig-makabren Wissen, niemals zu den Iden des März in Rom oder im heißen August 1572 in Paris (aber besser als Katholik...) sein zu können, das diffus klopfende Gefühl, kein Ereignis zu haben, das Menschen aller Länder und Stände für einen einzigen Moment zueinanderzubringen vermochte, keine Mondlandung, keine Ermordung John F. Kennedys. 1997, und wieder war es ein heißer August in Paris, ausgerechnet, schien der Mantel der Geschichte, für einen Wimpernschlag nur, einen solchen Moment zu streifen. Spätestens aber, als die ersten Objektive gierig aufsaugten, was übrig war, um es in grellen Postillen wieder hochzuwürgen, war klar, daß die Reise nicht mit "Buzz" auf Luna, sondern mit Grace nach Monte Carlo ging. Straßsteine statt Mondstaub.

So ist es nur folgerichtig, wenn Amélie Poulain, die bezaubernde Heldin des erstaunlichen Jean-Pierre Jeunet in seinem wundervollen Le fabuleux destin d'Amélie Poulain, als sie am 31. August 1997 im Pariser Viertel Montmartre zum ersten Mal vom Tod Diana Frances Spencers hört, den Fernseher einfach ausschaltet, um sich Wichtigerem zu widmen. Hätte Jeunet bis dahin die schlimmsten Szenen aus seinem eigenen Alien: Resurrection, Paul Andersons Event Horizon und Michael Bays Armageddon zusammengeschnitten, ab hier wäre ihm alles, jeder noch so klaffende Fehler verziehen worden. Aber dazu kommt es glücklicherweise nicht, da Jeunet in der guten halben Stunde bis zu dieser Szene ein solches Feuerwerk an Überraschungen, Einfällen, Details und liebenswerten Skurrilitäten abbrennt, daß man vor lauter Freude weder zum Atmen noch zum mehr als angebrachten Staunen kommt. Paris! Amélie Poulain! Fünfzehn Orgasmen! Jede Menge Flügelschläge! Und nochmal Paris, Paris und noch ein wenig mehr Paris!

Wie sehr der gemeine Zuschauer von der ewig geschichtslosen Chrysler-Building-Schwärmerei amerikanischer Filme infiziert ist, bemerkt man wohl erst, wenn Jean-Pierre Jeunet einem die Augen dafür öffnet, was für eine ganz und gar berückende Kulisse Paris abgibt. In der Stadt, in der der Blick an guten Tagen von der Grande Arche über den Arc de Triomphe bis zu Ieoh Ming Peis Pyramide streift oder wahlweise am immer faszinierenden Eiffelturm hängenbleibt, atmet auch die kleinste Gasse unter Bruno Delbonnels fesselndem Kamerablick, von herrlich passender Musik begleitet, unendlich mehr Leben als jede noch so volle oder leere 57th Street. Wie von selbst und ganz ohne die allfälligen Touristenmagneten präsentieren zu müssen, wird der Zuschauer so Teil von Amélies herzerwärmendem Montmartre. Einen Blick auf die wunderschöne Kirche Sacré-Coeur kann sich zwar auch Jeunet nicht verkneifen, aber der Ort dient der schüchternen Amélie nur als Schauplatz einer rasanten Schnitzeljagd mit ihrem Schwarm Nino, der tatsächlich vom vor allem als Regisseur von La haine und Les rivières pourpres bekannt gewordenen Mathieu Kassovitz überzeugend-zerstreut gegeben wird.

Überhaupt sind die Darsteller in Le fabuleux destin d'Amélie Poulain mit soviel Eifer und Freude bei der Sache, daß die Leinwand vor lauter Energie fast glüht: der bereits aus Alien: Resurrection (Winona, warum?) bekannte Dominique Pinon als krankhaft eifersüchtiger Diktiergeräte-Fetischist ist so erfreulich wie Isabelle Nanty als seine hypochondrische Georgette, der an seinem Gartenzwerg verzweifelnde Vater Amélies wird von Rufus so anrührend wie kauzig gespielt, Urbain Cancelier und Jamel Debbouze ergänzen sich vollständig als tyrannischer Gemüseverkäufer und zurückgebliebenes Helferlein, und was Serge Merlin als Amélies malender Nachbar und Yolande Moreau als ständig an ihren verstorbenen Mann denkende Hausmeisterin aus ihren Nebenrollen machen, muß man genauso selbst gesehen haben wie die junge Schauspielerin, die den Film zu einem noch größeren Ereignis macht, als er eh schon ist: Audrey Tautou. Als erfrischend schwer zu fassender Grenzfall zwischen jolie und belle erweckt sie die verträumt-hilfsbereite Amélie mit seelenvoll-cleverem Blick und bezauberndem Lächeln so einnehmend und sympathisch zum schauspielerischen Leben, daß man irgendwann nicht mehr anders kann, als so zu strahlen wie Nino und Amélie, die endlich hinter das Geheimnis des Mannes auf den Automatenfotos kommen.

Dieser gehört zu einer unüberschaubaren Riege von Kleinstdarstellern und Komparsen, die einen nie versiegenden Strom skurriler Anekdoten ("Je ne travaille pas dimanche"), stimmungsvoller Bilder, unerwarteter Tricks, hinreißender Ideen und humorvoller Details mit immer wimmelndem Leben füllen und so ungleich mehr Tiefe und Kontur bekommen als mancher hauptdarstellende Hollywood-Heros. Zwischendurch macht sich ein Sprecher aus dem Off einen Spaß, in typisch französischer Weise Jahreszahlen so schnell wie möglich auszusprechen und den Rest seines Textes mit so überwältigender Geschwindigkeit vorzutragen, wie die Einfälle einander jagen. Fast möchte man ausnahmsweise die Synchronisation empfehlen, wenn englische Wörter in Amélies Fernseher französisch untertitelt werden und alles zusammen von deutschen Untertiteln gefolgt wird, oder wenn man eigentlich französisch versteht, aber nicht in dem Tempo, und so seltsamerweise nur dann wirklich versteht, was gesprochen wird, wenn man die Untertitel liest, das Gesprochene hört und im Geiste hin- und zurückübersetzt. Ein-Mann-Türmen zu Babel sei ein zweiter Besuch von Le fabuleux destin d'Amélie Poulain daher ebenso anempfohlen wie allen, denen die charmanten Scherze gar zu schnell vorbeigezogen sind. Ein Schelm, wer darin eine kühle Strategie Jeunets vermutet, die Zuschauer mehrfach ins Kino zu locken. Dafür reichen schon so lebensfrohe Bilder wie "Quinze", Amélies Einbruch in Collignons Wohnung, die Frau im Koma, Ninos Zukunft im Kaukasus oder der "senile" Fahrkartenstempler, die Jean-Pierre Jeunets Film zu einem unvergeßlich beschwingten, liebevollen und verzückend-einmaligen Stück Kino machen, 2001 in Paris. Ausgerechnet.

****1/2 von 5 Sternen.

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