Kritik:
Ein Kinobesuch
fängt, schmerzliche Erfahrung lehrt das auch den
begriffsstutzigsten Kritikerwüstling, schon Minuten,
bevor das erste Licht des Projektors das Zelluloid
durchstrahlt, richtig an. Mit Armageddon nicht unter
zwei Monaten nonstop seien alle Multiplex-Architekten
bestraft, die Säle bauen, in denen man zuerst einen
Gang mit Blick zur Leinwand beschreiten muß, um dann
erst mit einem beherzt-unfallträchtigen Schlenker der
ansteigenden Reihen und ihrer feixenden Be-Sitzer ansichtig
zu werden. Wie umkehren und der mobiltelefonierenden und
Burritos mampfenden Spaßgeneration den Rücken
kehren, ohne die eigene Kingsize-Packung Popcorn auf der
Treppe zu verschütten und mit dem ungeduldig
hinterherdrängenden Preisboxer frontal
zusammenzustoßen?
Was für ein Glück also, wenn beim Besuch von
Almost Famous nicht nur der Saaleingang einen Blick
auf die versammelte, sympathisch-gesittete Generation
Golf-alte Zuschauerschaft bietet, sondern auch die Cola heil
bleibt, und das, obwohl man eiligst zu seinem Platz
schleichen muß, um den zufällig anwesenden
Ex-Gymnasiallehrerinnen und einem kopfnickenden "Mei, was studieren Sie
denn?"-Gespräch zu entgehen.
Nach dem
Film ist fast schon vor dem Film, denn wenn man, nachdem der
letzte Ton verklungen ist, ernsthaft mit dem Gedanken
spielt, sitzenzubleiben, um Alvin und die Chipmunks nochmal
von Weihnachten singen zu hören, "Penny Lane" nochmal
durch die postkonzertale Musikhalle tanzen zu sehen und den
Tourbus "Doris" nochmal in den Sonnenuntergang fahren zu
sehen, weiß man, daß die angestrebte kritische
Objektivität mal wieder verloren gegangen und man
unversehens einmal mehr zum Fan geworden ist. Cameron Crowe, der hier
Teile seines Lebens aufs Bezauberndste verfilmt hat,
müßte nach Almost Famous schon "Godzilla
vs. Mitch Bucannon" drehen, um den gewonnenen Kredit
wieder zu verspielen, und die Schauspieler, allen voran die
wunderbar sonnige Kate Hudson, seltsamerweise die Tochter
der berufsjugendlich-nervigen Liftingqueen Goldie Hawn,
dürften nur noch nach Luft schnappende Karpfen in Kevin
Costners erneutem Comebackversuch "Waterworld II or: How I
Learned to Stop Worrying and Love Distillated Urine"
geben.
Auch
Spätgeborene nämlich, die mit Namen wie Led
Zeppelin und Bob Dylan höchstens Luftschiffe und Tauben
im Sand verbinden können, werden ihre helle Freude an
den blendend aufgelegten Akteuren haben, die in den
glaubhaften, aber nicht allzu aufwendigen Kulissen zu John
Tolls schönen Bildern und launiger
zeitgenössischer Musik eine coming-of-age-Story und
eine humorvoll-ungewöhnliche Dreiecksgeschichte derart
charmant und liebevoll zum Leben erwecken, daß die
zwei Stunden wie im (leider teilweise etwas zu
offensichtlich CGI-animierten) Flugzeugflug verfliegen.
Schon die Nebendarstellerliste liest sich wie ein kleines
cineastisches Who-is-Who: Terry Chen ist als berühmter,
wirklich existierender Rolling Stone-Redakteur Ben
Fong-Torres so hartnäckig-energisch wie Anna Paquin als
"It's all happening"-"Polexia" kokett-verwöhnt,
Fairuza Balk und Zooey Deschanel, die tatsächlich die
Tochter des The Patriot-Kameramannes Caleb Deschanel
ist, sorgen als abgeklärte "Sapphire" und als
rebellische Tochter für nachdenkliche Momente, Philip
Seymour Hoffman ist in jeder seiner viel zu seltenen Szenen
ein noch größerer Genuß als sonst, und was
die als Komödiantin sträflich unterschätzte
Frances McDormand aus ihrer Rolle als
überfürsorglich-patente Mutter macht, muß
man auch diesmal selbst gesehen haben.
Mit solcher
schauspielerischer Begleitung wäre wahrscheinlich
selbst Steven Seagal ein zweiter Gesichtsausdruck gelungen,
aber was der bisher unbekannte Patrick Fugit, die
früher nicht in Erscheinung getretene Kate Hudson und
der bis dato übersehene Billy Crudup aus ihren
jeweiligen Rollen machen, läßt nicht nur
Almost Famous zu einem erinnerungswürdigen Film
werden, sondern verheißt auch Gutes für die
Zukunft dieser jungen Schauspieler: Patrick Fugit als
pilzköpfig-vernünftiges alter ego Crowes, das den
Niedergang und die Kommerzialisierung des Rock'n'Roll anhand
der persönlichen Eitelkeiten und Rivalitäten
innerhalb Stillwaters beobachtet, harmoniert treffend mit Billy Crudup als seinem
talentiert-selbstvergessenen musikalischen Idol Russell, und
beider Beziehung zur nur äußerlich
abgeklärt-professionellen Muse "Penny Lane" ist eine
einzige Folge szenischer und schauspielerischer Highlights,
angefangen von "Pennys" und Russells erster Begegnung
über ihre rituelle Balz in der Hotelsuite bis zu
Williams Rettung der alkoholisierten "Penny" aus Morpheus'
trügerischer Umarmung.
Damit nicht
genug, steckt Almost Famous auch noch voller sanft
schmunzelndem, nie böswilligem Humor, skurrilen
Dialogen ("You are not cool"...) und
wehmütigen, poetischen Bildern (William entdeckt die
Plattensammlung seiner Schwester, die lebende Legende Lester
Bangs schwelgt im Plattenregal eines Radiosenders, Russell
schnüffelt nach einer durchzechten Drogennacht an einer
Blume...), die die gelegentlich etwas
provoziert-künstlich wirkenden Konfliktsituationen (Das
T-Shirt! Der Sturm!) und die stellenweise
schlampigen Anachronismen sogleich vergessen machen. Und so
bleibt am Ende, wenn alles Licht durch das Zelluloid
gefallen, alle Töne verklungen und alle Tacoesser
gegangen sind, nur noch das Lächeln zurück, das kam, als Frances McDormand Simon & Garfunkels hemmungslosen Drogenkonsum aufdeckte. Ein seltenes
Vergnügen an Tagen, an denen die, die nie die Musik beherrschten, sie beherrschen.
von
5 Sternen.
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