Kritik:
Große
Ereignisse werfen ihre dunklen Schatten zuweilen auf die
seltsamsten Weisen buchstäblich voraus. So erhebt sich
im Saal am Tag des Deutschlandstarts von A.I. Artificial
Intelligence ein Raunen wie eine langsam an den Strand rollende
Welle, als die obersten Stockwerke der Zwillingstürme
des World Trade Centers aus dem in der Zukunft
überfluteten cor mundi, New York, ins Bild kommen, starr ragend wie
Skylla und Charybdis, bereit, den Zuschauer im Strudel der
hervorgerufenen Assoziationen zu zermalmen, seine Gedanken
vom Film fortzureißen wie ein hilfloses Stück
Treibholz. Es bedarf einiger Willensanstrengung, den Blick
und den Kopf wieder abzuwenden, in banger Ahnung, daß von nun an in allen New York-Filmen die Türme lauern
werden wie blendende Fackeln, unwillentlich.
Der Mensch
bleibt des Menschen schlimmster Wolf, und wenn unsere
Maschinen wie wir werden, ist es nur folgerichtig, daß
sie alle Grausamkeiten erfahren, die wir erleiden: "I'm
sorry I didn't tell you about the world", sagt Monica
Swinton weinend, als sie ihren Robotersohn David im Wald
aussetzt, um ihn vor seiner Zerlegung zu bewahren, und obwohl John Williams' Musik wimmert, als
wären die Saiten der Instrumente mit Tränen
geschmeidig gemacht worden, und obwohl Janusz Kaminskis
Kamera zum Weinen schöne Gegenlichtbilder zeigt,
fährt Monica davon und mit ihr ein weiterer von
zahllosen hochinteressanten Diskussionsansätzen, die
Steven Spielberg, ein verzogenes Kind gar, gierig
anreißt, nur um sie Minuten später gelangweilt wegzuwerfen wie altes Spielzeug, dem Zuschauer zur wachsenden Verwirrung.
Kein
Spielzeug im Sinn haben die "supernerds" um William Hurt als
prometheischem Professor, der in einer fernen Zukunft plant,
nicht mehr allein Arbeits- und Lustroboter herzustellen,
sondern mechanische Kinder, die ihren "Eltern" mit echter Liebe begegnen sollen. Eine Marktlücke tut
sich auf, da in der Zukunft, in der die Polkappen
geschmolzen sind und in der die steigenden Ozeane
Küstenstädte überall auf der Welt vernichtet
haben (Ben Kingsley erzählt zu Anfang fast noch
nonchalant, um am Ende, wie alles, umso grimmiger im Kitsch zu suhlen), nur die wenigsten eine Lizenz zum
Kinderkriegen erhalten. Die Wissenschaftler werfen gleich
selbst die drängenden ethischen Fragen auf, und der
Zuschauer wartet gespannt, wie Spielberg, hier Stanley
Kubricks Freund und Erbe, die Fortsetzung der Tamagotchis
und Aibos mit anderen Mitteln filmisch realisieren wird.
Zu Anfang erstaunlich gut, wobei ihm der unscheinbare Sam
Robards und die bisweilen eher farblose Frances
O'Connor als Eltern, deren leiblicher Filmsohn seit
fünf Jahren im Koma liegt, nur teilweise helfen.
Dafür kann sich Spielberg voll und ganz auf den immer wunderbaren Haley Joel Osment verlassen, der als naives,
nie schlafendes, niemals blinzelndes und ständig
lächelndes Automatenkind mit einfachen Mitteln so
glaubhaft artifiziell wirkt, daß man fast Angst
bekommt. Warum William Hurts Firma keine Maschinen baut, die
sich weniger furchterregend und mehr wie ein junges Kind
verhalten, kann man angesichts von Osments großartiger
Leistung hier noch fast genauso unter den Tisch fallen
lassen wie die merkwürdig rasch-unbegründete
Entscheidung der Mutter Monica, den Roboter an Sohnes Statt
zu adoptieren und ihm unauslöschlich bedingungslose
Mutterliebe einzubrennen.
Spätestens jedoch, als - sie wachen immer auf - der wahre Sohn
Martin endlich die Augen aufschlägt und beginnt, den
nichtsahnenden David, obwohl genug Platz für alle ist, aus der Kleinfamilie herauszumobben,
wird auch der wohlwollendste Zuschauer stutzig: da soll man
nicht nur glauben, daß Roboter Angst und Schmerz
empfinden können, sondern auch, daß eine Firma,
die in der Lage ist, völlig natürlich aussehende
Haut und Augen nachzubilden, vergißt, ihren Robotern
einzuprogrammieren, daß sie nichts essen sollen, da
sonst ihre Schaltkreise kaputt gehen. Wasser dagegen scheint
der kleine David schlucken zu können und zu
müssen, da er im Pool lächerlicherweise nicht schwimmen
kann, wie ein Stein versinkt und so einen Beinahe-Unfall verursacht, der seine
zunehmend gestört agierende Mutter (die Martins
üble Machenschaften dadurch belohnt, daß sie ihm
eine Geschichte in seinem Bett vorliest, während David
auf dem Boden kauern muß wie ein räudiger Hund;
Osments bewegende Darstellung entschädigt hier
zumindest ein wenig für die absurde, die vorigen
Szenen völlig negierende Kaltherzigkeit) dazu bringt,
ihn und seinen sprechenden Teddy schließlich im Wald
auszusetzen. Fassungslos vor Entsetzen bleiben David und der
Zuschauer zurück und fragen sich, welche
unerklärten Stimmungsschwankungen Monica so zwischen
Liebe und Haß schwanken lassen, daß sie ihr
Pflegekind wegwirft wie einen nassen Lappen.
Auftritt
Jude Law als Gigolo Joe, und einmal noch ist man gewillt,
Spielberg die Nachlässigkeiten, diesmal die
Implikation, man könne Adoptivkinder, für die man
die Verantwortung übernommen hat, wegschmeißen
wie benutzte Taschentücher, zu verzeihen: als charmant
tänzelnde, beredt säuselnde und wundervoll
enthusiastische Jiminy Cricket-Reinkarnation ist Law nicht
nur als Liebesautomat, sondern auch auf der Flucht vor der
drohenden Verhaftung für ein Verbrechen, das er nicht
begangen hat, eine reine Freude und im stimmigen Verbund mit
Osment und dem klugen Teddy ein echter Grund, sich
wenigstens die erste Hälfte von A.I. Artificial
Intelligence anzusehen.
Fast kommt es zu keiner zweiten
Hälfte, da Joe und David von Brendan Gleeson und seinen
Männern in einer seltsam unangebracht-lärmigen,
Tron nachempfundenen Actionszene gefangen werden, um
vor grölenden Hillbillies geröstet zu werden wie
Heiden auf dem Scheiterhaufen. Wieder öffnet sich eine
neue Ebene des Umgangs der Menschen mit den Maschinen, und
wieder flieht Spielberg sie binnen kurzem so ängstlich,
als wäre er selbst ein Roboter, der fürchtet, in
tiefen Wassern rettungslos zu versinken. Verschenkt ist die Diskussionsgelegenheit und mit ihr ein weiteres Stück des immer fahriger werdenden Films.
David und Joe also
kommen frei, und ihre Suche nach der blauen Fee aus
"Pinocchio", von der David glaubt, daß sie ihn in
einen echten Jungen verwandeln kann, und von der Gigolo Joe
glaubt, daß er ("I know all about women") sie
beglücken kann, bis sie ihre Farbe wechselt, findet
nach einer allzu zaghaften, seltsam peinlich-klebrigen und
unglaubhaft züchtig-keuschen Sequenz im neonleuchtenden
Sündenbabel Rouge City schließlich ihr Ende in der ewigen Stadt New
York, natürlich.
Hätte
auch Steven Spielberg hier das Ende seines Filmes gefunden,
und sei es mitten in einem Satz aus Davids Mund, es
wäre um Äonen besser gewesen im Vergleich mit dem, was nun
noch über dreißig Minuten lang folgt, bis endlich
die letzten Lampen ausgehen wie die in Spielbergs Oberstübchen. Plumpe Zitate
aus Blade Runner, Close Encounters of the Third
Kind und E.T. the Extra-Terrestrial vermengen
sich mit fragwürdigen Gottkomplexen, eruptiver "Auto"aggression, eitel-ungerechtfertigtem Anthropozentrismus, haarsträubendem Techno-
und New-Age-Babble, bio- und formal logischen
Unmöglichkeiten, Waltons-Nostalgie und
unerträglich rosarotem Kitsch-Fallout nach und nach zu einer immer grausamer
deformierten Fratze, die ein wohliges Happy-End darstellen
soll, aber nur wirkt, als lache sie Stanley Kubrick und
allen Zuschauern ins Gesicht wie ein zähnefletschender
Clown um Mitternacht, so fürchterlich deplaziert wie
lächerlich vergeudet.
1/2 von
5 Sternen.
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